Zum Kindelsberg auf dem hohen Schloß steht eine alte Linde
Von vielen Ästen kraus und groß, sie saust am kühl‘gen Winde
Da steht ein Stein, ist breit, ist groß, gar nah an dieser Linde
ist grau und rauh von altem Moos, steht fest im kühl‘gen Winde
Da schläft eine Jungfrau den traurigen Schlaf, die treu war ihrem Ritter
das war von der Mark ein edler Graf, ihr wurde das Leben bitter
Er war mit dem Bruder ins weite Land zur Ritterfehde gegangen
er gab der Jungfrau die eiserne Hand, sie weinte mit Verlangen
Die Zeit, die war nun lang vorbei, der Graf kam immer nicht wieder
mit Sorg‘ und Tränen mancherlei saß sie bei der Linde nieder
Da kam der junge Rittersmann auf seinem schwarzen Pferde
der sprach die Jungfrau freundlich an, ihr Herze er stolz begehrte
Die Jungfrau sprach: Du kannst mich nie zu deinem Weiblein haben
wenn‘s dürr ist, das grüne Lindlein hie, dann will ich dein Herze laben
Die Linde war noch jung und schlank, der Ritter sucht‘ im Lande
ein‘ dürre Lind‘ so groß, so lang, bis er sie endlich fande
Er ging wohl in dem Mondenschein, grub aus die grüne Linde
Und setzt die dürre dahinein, belegt‘s mit Rasen geschwinde
Die Jungfrau stand des Morgens auf, am Fenster war‘s so lichte
Des Lindleins Schatten spielt‘ nicht drauf, schwarz ward‘s ihr vor’m Gesichte
Die Jungfrau lief zur Linde hin, setzt‘ sich mit Weinen nieder
der Ritter kam mit stolzem Sinn, begehrt ihr Herze wieder
Die Jungfrau sprach in großer Not: Ich kann dich nimmer lieben
Der stolze Ritter stach sie tot, das tät den Graf betrüben
Der Graf kam noch denselben Tag, er sah mit traurigem Mute
wie da bei dürrer Linde lag die Jungfrau in rotem Blute
Er machte da ein tiefes Grab, der Braut zum Ruhebette
und sucht‘ eine Linde bergauf und -ab, die setzt‘ er an die Stätte
Und einen großen Stein dazu, der stehet noch im Winde
da schläft die Jungfrau in guter Ruh, im Schatten der grünen Linde
Text: Johann Heinrich Jung-Stilling (nach einer westfälischen Sage, 1811)