Wo man singet, laß dich ruhig nieder
ohne Furcht, was man im Lande glaubt
wo man singet, wird kein Mensch beraubt
böse Menschen haben keine Lieder
Wenn die Seele tief in Gram und Kummer
Ohne Freunde, stumm, verlassen, liegt
Weckt ein Ton, der sich elastisch wiegt
Magisch sie aus ihrem Todesschlummer
Wer sich nicht auf Melodienwogen
Von dem Trosse des Planeten hebt
Und hinüber zu den Geistern lebt,
Ist um seine Seligkeit betrogen.
Männer gibt es, die den Geist verhöhnen
Sich hinab zu den Polypen ziehn
Und dort stehn sie, wenn sie nicht entglühn
In des Seelenliedes Silbertönen
Göttliche Begeisterer, Gesänge,
Weckt in euerm Labyrinthenlauf
Oft in mir mir meinen Himmel auf;
Gern verlier ich dann mich in der Menge
Mit Gesange weiht dem schönen Leben
jede Mutter ihren Liebling ein,
trägt ihn lächelnd in den Maienhain,
ihm das erste Wiegenlied zu geben.
Mit Gesängen eilet in dem Lenze
rasch der Knabe von des Meisters Hand,
und die Schwester flicht am Wiesenrand
mit Gesang dem Gaukler Blumenkränze.
Mit Gesang spricht des Jünglings Liebe
was in Worten unaussprechlich war
und der Freundin Herz wird offenbar
im Gesange, den kein Dichter schriebe
Orpheus alte Zauberlieder machten
Wilde milde; durch Amphions Laut
Wurden Kadmus Mauern aufgebaut;
Mit Gesang gewann Tyrtäus Schlachten.
Mit dem Liede greif der Mann zum Schwerte,
wenn es Freiheit gilt und Fug und Recht,
steht und trotzt dem eisernen Geschlecht
und begräbt sich dann im eignen Werte.
Mit dem Liede, das die Weisen sannen,
Sitzen Greise froh vor ihrer Tür,
Fürchten weder Bonzen noch Vezier;
Vor dem Liede beben die Tyrannen
Wenn der Becher mit dem Traubenblute
unter Rosen uns’re Stunden kürzt,
und die Weisheit uns’re Freude würzt,
macht ein Lied den Wein zum Göttergute.
Männer hangen an der Jungfrau Blicken
aber wenn ein himmlischer Gesang
seelenvoll der Zauberin gelang,
strömt aus ihrem Strahlenkreis Entzücken.
Harmonie ist aller Welten Jugend;
Dem berauschten Weisheitsforscher heißt
Harmonie des Menschen hehrer Geist,
Harmonie dem Samier die Tugend.
Das Geheimnis, dass sie alle Geister
Mächtig fort auf ihren Schwingen trägt
Und in Gottes Schoße niederlegt,
Löset nur der große Weltenmeister.
Stürmend fliegt der Blick im hohen Liede
Durch der Orione Feuerbahn;
Sanfte Laute wehn uns lieblich an,
Und um unsre Stirne säuselt Friede.
Selbst die Rotte schrecklicher Dämonen,
Die im Sturme von dem Himmel fiel,
Glaubet bei der Hölle Saitenspiel,
Fromm getäuscht, noch in dem Licht zu wohnen
Des Gesanges Seelenleitung bringet
jede Last der Arbeit schneller heim,
mächtig vorwärts geht der Tugend Keim;
weh dem Lande, wo man nicht mehr singet!
Männer des Gesanges, eure Seelen
Ziehn den Himmel oft zu uns herab:
Wer, wem Gott nicht seinen Funken gab,
Kann den Segen eurer Schöpfung zählen.
Höher wird des Urgeists Macht und Ehre,
Die den Welten ihre Bahnen schmückt,
In dem Endlichen nicht ausgedrückt,
Als in euerm Harmonienmeere.
Männer, nehmt den Dank, den ihr erworben,
Für die Seligkeiten, die ihr schuft:
Wen nicht ihr zu seiner Würde ruft,
Ist für alle Tugenden erstorben.
Lieder spielen, wie mit Wachs, mit Herzen;
Rührt der Sänger nur den rechten Ton,
Schnell ist alle Seelenangst entflohn,
Schweigen Stürme und entschlummern Schmerzen.
Lieder sind in jener Strahlenwohnung,
Wo der Blick ins Empyreum taucht
Und das Licht der Geister Leben haucht,
Der verklärten Heiligen Belohnung.
Wenn die Sprache stirbt von meinem Munde
Und der Schauer mein Gebein durchläuft,
Und mit Eisenarm der Tod mich greift;
Singt ein Lied zu meiner schönen Stunde!
Mit geprüfter Seelenweisheit haben
Unsre Väter längst für uns gedacht,
Lassen mit Gesang zur guten Nacht
Für den bessern Morgen uns begraben.
Täuscht uns nicht ein Ton aus jenen Chören,
Werden wir dann unter Sphärentanz
Mit dem Lichtblick durch die Sonnen ganz
Dort den großen Musageten hören.
Text: Johann Gottfried Seume (1804)
Musik: Volkstümliche Melodie bald nach 1804, Verfasser unbekannt
Zuerst gedruckt in der Zeitung für die elegante Welt, 1804. Böhme gibt in Volkstümliche Lieder der Deutschen (1895) nur neun von sechsundzwanzig Strophen