Wie heisst König Ringangs Töchterlein?
Rohtraut, Schön-Rohtraut.
Was tut sie denn den ganzen Tag
da sie wohl nicht spinnen und nähen mag?
Tut fischen und jagen
O dass ich noch ihr Jäger wär
Fischen und jagen
freute mich sehr.
Schweig stille, mein Herze!
Und über eine kleine Weil
Rohtraut, Schön-Rohtraut,
so dient der Knab auf Ringangs Schloss
in Jägertracht und hat ein Ross,
mit Rohtraut zu jagen
O dass ich doch ein Königssohn wär
Rohtraut, Schön-Rohtraut lieb ich so sehr.
Schweig stille, mein Herze!
Einstmals sie ruhten am Eichenbaum
da lacht Schön-Rohtraut:
Was siehst mich an so wunniglich?
Wenn du das Herz hast, küsse mich!
Ach! Erschrak der Knabe!
Doch denket er: mir ist’s vergunnt
und küsset Schön-Rohtraut
auf den Mund.
Schweig stille, mein Herze!
Darauf sie ritten schweigend heim
Rohtraut, Schön-Rohtraut;
es jauchzt der Knab in seinem Sinn:
und würd’st du heute Kaiserin,
mich sollt’s nicht kränken:
ihr tausend Blätter im Walde wisst
ich hab‘ Schön-Rohtrauts
Mund geküsst.
Schweig stille, mein Herze!
Text: Eduard Mörike (1838)
Musik: Louis Schlottmann (1826-1905)
in: Volkstümliche Lieder der Deutschen (18795, „Schön Rotraut“) — Albvereins-Liederbuch (ca. 1900) —