Wie die Tage so golden verfliegen (Sorrent Berlin, Tucholsky)

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Wie die Tage so golden verfliegen
wie die Nacht sich so selig verträumt
wenn am Abend bechiffonte Ziegen
vor der Theke sich wogen und wiegen
wo der Sekt Gottbehüte noch schäumt
Wo im Schleier – ich danke, Herr Franke
junge Nutten den Beifox vollziehn
O du schimmernde Blüte der Panke
Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin

Und die Nacht, wenn bei Rotters sie toben
dem Claqueure der Handschuh zerplatzt
wenn Annoncen, so bilderdurchwoben
ihre Herren preisen und loben
wenn die Loge futtert und schmatzt
»Wat is denn det hier forn Jestanke?
Wer eßt hier Käse? Ham Sien?«
O du schimmernde Blüte der Panke
Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin

Wo mit müde verzogenen Lippen
junger Gent kalten Schleichhändler frißt
wo Chauffeure die schweinernen Rippen
in die fettige Brihsuppe stippen
wo der Fahrgast die Taxe vergißt
Da begrabt mich mit Efeugeranke
mit Ranunkeln und weißem Jasmin
Hier leben? Mensch, welch Gedanke
O du schimmernde Blüte der Panke
Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin

Text: Theobald Tiger – das ist Kurt Tucholsky
Musik: auf die Melodie „Sei gegrüsst du mein schönes Sorrent“ –  vermutlich von Ludof Waldmann
in: Die Weltbühne, 16.12.1920

Liederthema:
Liederzeit: vor 1920 : Zeitraum:
Orte:

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