Wandern lasst uns, lasst uns wandern
einen fröhlich nach dem Andern
Sei´s nach Wien, nach Bukarest
Sei´s nach Linz, nach Budapest
Sei´s nach New York, nach Berlin
Oder sei´s nach Wisconsin
Lasst den Stecken mit dem Ranzen
Uns in fremden Boden planzen
Eisen schleppen auf dem Rücken
in Amerikas Fabriken
Stund um Stund, Tag um Tag
Sklaverei ist´s, Todesplag
Doch wer wird daheim im Korn
tilgen Weidenbusch und Dorn
Pflug und Karst – wir lassen´s andern
Wandern lasst uns, lasst uns wandern
Sind wir nicht, wir edle Sachsen
bloß zur Herrlichkeit gewachsen
In der Heimat Dürfigkeit
Ist denn das ein Leben heut?
So ein Leben, das uns ziemt
seidenweich und goldgeblümt?
Laufen lasst uns, lasst uns wandern
einer fröhlich nach dem anderen
Krumm an einem Schreibtisch sitzen
täglich dreizehn Stunden schwitzen
Kaum zu Essen kurze Frist
Wenn´s nur in der Großstadt ist
Hol der Henker fern daheim
Schurzfell, Hobel, Säg´ und Leim
Höher steh wir als die andern
Laufen lasst uns, lasst uns wandern
Zwar, wenn wir zu Hause blieben
Unser Tagwerk hier betrieben
Standhaft trügen Not und Müh´n
würden Haus und Äcker blühn
Wär´ des armen Volks Bestand
kräftiger in Stadt und Land
Doch das lassen wir den anderen
Laufen lasst uns, lasst uns wandern
Haben endlich unsre Haufen
sich in alle Welt verlaufen
Hunderttausend Joche dann
Warten auf den Ackersmann
Offen stehn die Städte weit
fleißiger Genügsamkeit
Aber dies ist für die anderen
Laufen lasst uns, lasst uns wandern
Weiden gibt es, Wies´ und Wälder
Meilenweite Ackerfelder
Schließen unsre Dörfer ein
nur der Menschen Zahl ist klein
Hände braucht´s das Feld zu bau´n
Mäuler den Ertrag zu kau´n
Doch das lassen wir den andern
Wandern lasst uns, lasst uns wandern
Text: Michael Albert – geboren 1836 in Trappold und gestorben 1893 in Schäßburg – Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, studierte Theologie und Germanistik in Jena, Berlin und Wien und unterrichtete als Gymnasialprofessor in Bistritz und Schäßburg.