Es gleichet die Großstadt dem grünenden Baum
der hoch emporragt in irdischem Raum
und seine Blätter an Ast oder Zweig
sind Großstadtkinder, teils arm oder reich
und wenn so am Wipfel ein Blättchen erwacht
gilt es dem Reichen, dem Sonnenschein lacht
Aber tief drunten blinkt kein Sonnenstrahl
da sind die Blätter meist farblos und fahl
Es nahen Zeiten, gefahrvoll und schwer
es rüttelt der Sturmwind den Baum hin und her
hinab fällt zur Erde dann farblos und matt
vom Baume der Großstadt manch welkendes Blatt
Im schönen Viertel, da steht ein Palais
Marmorgesimse bedeckt hoher Schnee
des Hauses Herr ist sehr lieb und charmant
füttert die Spatzen mit eigener Hand
Dort vor der Türe in Schnee und in Eis
steht händeringend ein zitternder Greis
niemand gewahrt sein, er blickt ohne Ruh
tränenden Auges den Spatzen dort zu
Ihr armen Schreier für euch sorgt der Herr
wenn ich doch auch nur ein Vöglein wär
so bin ich ein Mensch nur, bin kraftlos und matt
vom Baume der Großstadt ein welkendes Blatt
Seht in den Läden, die Spitzen schön
Laßt uns die herrliche Arbeit besehn
prächtige Sachen für prächtige Welt
nur wer sehr reich ist, kann zahlen das Geld
Im engen Stübchen, hoch unter dem Dach
sitzt ein Mädchen, bleichsüchtig und schwach
klöppelt die Spitzen mit äußerstem Fleiß
erhält nur den zwanzigsten Teil von dem Preis
Doch wer sich schmückt mit dem Werk ihrer Hand
gleichet den Rosen im sonnigen Land
sie selber verblüht nur, wird farblos und matt
vom Baume der Großstadt ein welkendes Blatt
Text und Musik: Adolf Spahn
Musik: Michael Zachcial
Unter dem Titel „Welkende Blätter“ bereits vor dem Ersten Weltkrieg veröffentlicht. Das Lied war auch in den 1920er Jahren populär. Für das Album „Revolution“ (Die Grenzgänger, 2018) neu vertont.