Vögel der Freiheit (Ernst Toller)

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Am Morgen, wenn der Wächter kommt, schreck ich zusammen
Entdeckt er das Nest, dann reißt er´s mit harter Gebärde zu Boden
O im vorigen Sommer der Kriegszug auf das junge Getier!
Gegen Dachrinnen, Firste marschierte man Sturm
Als ich zum Hof ging, Ging ich über ein Schlachtfeld.
Hilflos kreisend die klagenden Mütter.

Wo soll ich Euch eine Stätte bereiten
Vögel der Freiheit
Ich bin ein Gefangener, und mein Wille nicht meiner
Vögel der Freiheit?

Sing ich ein Lied der Freiheit, meldet der Wächter
Der Gefangene sang ein revolutionäres Lied.
Das dulden die Paragraphen nicht.
Mächtige Herren sind die Paragraphen
Wo soll ich Euch eine Stätte bereiten …

Die Paragraphen setzten die Menschen über sich, weil sie den Sinn verloren. Ruten tragen sie in den Händen. Und sie sagen: Ruten der Gerechtigkeit.
Wo soll ich Euch eine Stätte bereiten …

Dieses Hauses Ruten heißen:
Einzelhaft Bettentzug  Kostentzug Hofverbot
Schreibverbot Sprechverbot Singverbot Leseverbot
Lichtverbot Zwangsjacke.

Text: aus dem „Schwalbenbuch“ von Ernst Toller. Es wird aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt und erscheint, obwohl die Gefängnisleitung dies zu verhindern suchte. Der Schriftsteller Ernst Toller war Aktivist der Münchener Räterepublik, wurde nach deren Niederschlagung im Juni 1919 verhaftet und einen Monat später zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Damit entging er nur knapp einer drohenden Todesstrafe.
Musik: Michael Zachcial / Felix Kroll

CDs und Bücher mit Vögel der Freiheit (Ernst Toller):