Tadle nicht der Nachtigallen (Das Flüchtigste)

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Tadle nicht der Nachtigallen
Bald verhallend süßes Lied
Sieh, wie unter allen, allen
Lebensfreuden, die entfallen
Stets zuerst die schönste flieht

Sieh, wie dort im Tanz der Horen
Lenz und Morgen schnell entweicht
Wie die Rose, mit Auroren
Jetzt im Silberthau geboren,
Jetzt Auroren gleich erbleicht

Höre, wie im Chor der Triebe
Bald der zarte Ton verklingt
Sanftes Mitleid, Wahn der Liebe
Ach, daß er uns ewig bliebe!
Aber ach, sein Zauber sinkt

Und die Frische dieser Wangen
Deines Herzens rege Glut
Und die ahnenden Verlangen
Die am Wink der Hoffnung hangen
Ach, ein fliehend, fliehend Gut

Selbst die Blüte Deines Strebens
Aller Musen schönste Gunst
Jede höchste Kunst des Lebens
Freund, Du fesselst sie vergebens
Sie entschlüpft, die Zauberkunst

Aus dem Meer der Götterfreuden
Ward ein Tropfen uns geschenkt
Ward gemischt mit manchem Leiden
Leerer Ahnung, falschen Freuden
Ward im Nebelmeer ertränkt

Aber auch im Nebelmeere
Ist der Tropfen Seligkeit
Einen Augenblick ihn trinken
Rein ihn trinken und versinken
Ist Genuß der Ewigkeit

Text: Johann Gottfried von Herder
Musik: W. Wedemann
in Die Volkslieder der Deutschen (1834)

Liederthema:
Liederzeit: vor 1800 : Zeitraum:

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