Schau, dort spaziert Herr Biedermeier,
Und seine Frau, den Sohn am Arm;
Sein Tritt ist sachte wie auf Eier,
Sein Wahlspruch: Weder kalt noch warm.
Das ist ein Bürger hochgeachtet,
Der geistlich spricht und weltlich trachtet;
Er wohnt in jenem schönen Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.
Regierlich stimmt er bei den Wahlen,
Denn er missbilligt allen Streit;
Obwohl kein Freund vom Steuerzahlen,
Verehrt er sehr die Obrigkeit.
Aufs Rathaus und vor Amt gerufen,
Zieht er den Hut schon auf den Stufen;
Dann aber geht er stolz nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.
Am Sonntag in der Kirche fehlen,
Das wäre gegen Christenpflicht;
Da holt er Labung seiner Seelen –
Und schlummert, wenn der Pfarrer spricht.
Das führt ihn lieblich bis zum Segen,
Den nimmt der Wackre fromm entgegen.
Dann geht er ganz erbaut nach Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.
Ach! Wandrer, die gen Westen streben!
Wie rühret ihre Not sein Herz!
Wohl sieht er sammeln, doch zu geben,
Vergisst er ganz in seinem Schmerz.
»Ihr Schicksal ruht in Gottes Händen!«
Spricht er – dann geht er auszupfänden,
Nimmt einem Schuldner Hof und Haus
Und – leiht sein Geld auf Wucher aus.
Den einz’gen, hoffnungsvollen Sprossen –
Denn mehr, das wäre Überfluss –
Den hält er klösterlich verschlossen:
Die Sünde stammt ja vom Genus.
Die Mutter führt ihr Küchlein sittig
Wie eine Henne unterm Fittig;
Sie sorgt für strenge Zucht im Haus
Und – leiht ihr Geld auf Wucher aus.
O edles Haus! o feine Sitten!
Wo jedes Gift im Keim erstickt,
Wo nur gepflegt wird und gelitten,
Was gern sich duckt und wohl sich schickt.
O fromme Bildung! Glaubensblüte,
dass der Besitz dich heg‘ und hüte! –
Respekt muss sein in Staat und Haus:
Sonst – geht dem Geld der Wucher aus
Text: Ludwig Pfau (1847)