Es ging ein Knab spazieren
wohl am Schlaffenster hin:
„Herzliebste, bist du drinnen?
ei steh auf und laß mich ein!“
Ich bin jetzt zwar hierinnen
aber rein laß ich dich nit
ich habs einem Andern versprochen
„Vielleicht derselbe bin ich!“
„Streck nur aus dein schneeweiß Händlein,
ei vielleicht erkennst du mich.“ –
‚‚‚Mich däucht, du schmeckst wie die Erde
ich hab gemeint, daß du seist todt.‘‘
„Von der Erde kann ichs leicht schmecken,
weil ich komm von derselben her
Es ist schon achthalb Jahre
seit ich gestorben bin
„Weck nur auf dein Vater und Mutter
weck nur auf all deine Freund
weck nur auf dein Bruder und Schwester
und die Hochzeit ist schon bereit!
„Tu dich hübsch und schön aufputzen
setz nur auf dein grün Kränzelein
mit rosen Seide gebunden
wolln wir fahrn in Himmel hinein!“
Bald das erste Glöcklein läutet
macht die Braut das Testament
bald das andre Glöcklein läutet
nahm sie auf ein glückseligs End
Zwei Herzliebste die sind verschieden
verschieden bei der Nacht;
und Gott Vater war selbstens der Priester
gabs dieselbgen Brautleut zusammn
Deutscher Liederhort, 1856, Nr. 24
aus Meran in Tirol