Liederlexikon: Rote Raketen
Musiker | 1927Die „Roten Raketen“ entstanden im Herbst 1927. Anstoß für ihr Wirken war ein bunter Abend, ein Pressefest der „Roten Fahne“, des Zentralorgans der KPD. Das Programm hätte einheitlicher, aktueller, spritziger sein können, fanden sie. „Macht es,“ sagte die „Rote Fahne“. Sie versuchten es. Sechs Berliner Jungs waren sie, teils Arbeiterkorrespondenten, teils Genossen des Kommunistischen Jugendverbandes. Sie konnten ein wenig singen, musizieren und waren auch sonst nicht ganz unbegabt.
Ihre ersten selbstverfaßten Szenen hatten auf dem nächsten Pressefest Erfolg. Das gab Auftrieb. Sie schrieben neue Szenen, neue Lieder, probt. mit Eifer und Ausdauer, mit Besessenheit. Sie hatten Zeit dazu, sie waren arbeitslos. Nur Geld hatten sie nicht. Sie wohnten weit auseinander; oft fehlte das Fahrgeld zum Probelokal am Görlitzer Bahnhof. Sie trabten auf Schusters Rappen die weiten Wege.
Die „Rote Fahne“ hatte Pläne mit ihnen. Sie gab Vorschuß für einheitliche Kleidung (Trainingsanzüge), für die notwendigsten Requisiten, für ein Schlagzeug. Nun trommelte und bumste es in dem Verkehrslokal der Roten Frontkämpfer, in dem sie probten. Vor den Fenstern drängten sich die Kinder, bald sang die ganze Gegend die Lieder der „Roten Raketen“.
Ihr Programm stand. Zwei Stunden dauerte es. Die „Rote Fahne“ schickte sie auf die Reise: Presseabende in der Provinz, in Brandenburg, in der Grenzmark, in der Lausitz. Abend für Abend traten sie auf, in mehr oder weniger großen, aber immer gestopft vollen Sälen. Sie waren alles in einem: Schauspieler, Sänger, Tänzer, Requisiteure, Bühnen- und Transportarbeiter und nach so mancher Vorstellung auch noch, mehr schlecht als recht, Tanzmusiker. Sie setzten wahrhaftig kein Fett an bei diesem Leben, aber die Begeisterung für die Arbeit blieb. Kunst? Sie dachten nicht daran. Sie wollten nur Werber sein für die proletarische Presse, für die Sammlung der Arbeiter zum Klassenkampf.
Der Rote-Frontkämpfer-Bund übernahm sie als Werbetruppe. Die „Roten Raketen“ fuhren durch Deutschland. Mit der Bahn zuerst, dann in einem Auto, das der RFB für sie „auf Stottern“ angeschafft hatte und das mit seinen Kofferaufbauten recht abenteuerlich aussah. Arbeiter spielten für Arbeiter. Heute auf einer Riesenbühne, auf der die sechs sich fast verloren, morgen auf einem Vorstadtbühnchen, auf dem sie kaum Platz hatten, übermorgen vielleicht auf zusammengestellten Tischen in einem Kaffeegarten, weil die Polizei ihnen den Saal gesperrt hatte.
Ja, die Polizei! Sie ließ es nirgends an „Aufmerksamkeiten“ fehlen, wollte immer wieder der Truppe zu spielfreien Abenden verhelfen. Aber sie war dabei so einfallsarm, operierte mit kleinen Variationen im Ruhrgebiet genauso wie in Württemberg, im Rheinland genauso wie in Hessen, Sachsen, Schlesien und an der Wasserkante, so daß die Truppe geradezu Routine bekam, mit ihr fertig zu werden. Die Veranstaltungen wurden durchgeführt, die „Roten Raketen“ spielten — das war fürs erste die Hauptsache. Weniger wichtig waren dann die Vorladungen ins Polizeipräsidium, die in Berlin warteten, die Auseinandersetzungen mit den Herren der Abteilung I A, die Geld- oder Haftstrafen, die mäßig und zu ertragen waren.
Dann kam der Blutmai 1929 und das Verbot des RFB. Auch die „Roten Raketen“ fielen darunter. Ihr Auto wurde beschlagnahmt und mit ihm der gesamte Truppenfundus einschließlich aller Musikinstrumente. Dem Wirken der Truppe war ein vorläufiges Ende gesetzt, erst nach Monaten konnte sie unter, dem Namen „Alarm“ bzw. „Sturmtrupp Alarm“ ihre Arbeit fortsetzen. (Max Jensen, Lieder der Agitprop-Truppen vor 1945)
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