Liederlexikon: Kommersieren
Begriffe | 1926Ist doch auch die höchste Blüte des Erkennens, die rechte Selbsterkenntnis, durch Worte von ewiger Geltung zum Ausdruck gekommen, z. B. in den Worten des biederen Mannes der als Grobschmied und Vater inspizierender Weise nach Halle kommt und seinem flotten Sohn auf dessen Fragen: »Was macht die liebe Frau Mama, was machen die zarten Schwesterlein?« so schlicht als wahr erwidert:
»Se sünd noch all recht fett und rund;
Se seggen, du bist en Swinehund.«
Wer nur sehen will, der sieht also klar genug, daß der Studio sich nicht schont, vielmehr die härtesten Selbstanklagen mit Mut und Ausdauer verträgt. Wer auch erhebt machtvoller die Stimme der Menschlichkeit, als er es thut in den tief gemütvollen Worten:
»Reißt dem Kater den Schwanz aus,
Reißt ihn aber nicht ganz aus! (Bravo!)
Laßt ’n kleinen Stummel dran,
Daß er wieder wachsen kann!«
und wer macht sich zum dröhnenden Sprachrohr des verfolgten lepus parvulus und trägt seine rührende Klage an das Ohr der Mitwelt?
Longas aures habeo,
Brevem caudam teneo.
Quid feci hominibus,
Quod me sequuntur canibus?
Caro mea dulcis est,
Pellis mea mollis est.
Quid feci hominibus,
Quod me sequuntur canibus?
Quando reges comedunt me,
Vinum bibunt super me.
Quid feci hominibus,
Quod me sequuntur canibus?
Mein Freund, der Vernünftige, hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß die Menschen den Hasen ja eben deswegen verfolgten, weil sein Fleisch so süß und sein Fell so weich sei. O meine Brüder, soll ich ihm ‚mal eine ‚runterhauen? Aber nein! Seien wir duldsam gegen die Armen, denen nicht geworden ist, das Farbenspiel des Lebens zu kosten, und steigen wir als glückselige Wissende empor zu immer höheren Höhen des Tiefsinns. Sursum Corda!
Da gelangen wir denn zu den orphischen Worten vom Bock, der nicht milchen will.
»Mich wundert nichts, als daß, als daß
Der Bock nicht milchen will,
Und frißt doch allzeit Gras,
Und frißt doch allzeit Gras.«
Millionen von Menschen, ganze Geschlechter von Erdbewohnern sind achtlos an diesem Phänomen vorübergegangen, oder wenn sie es auch beobachtet haben, so fanden sie doch nicht den Mut, nach der Ursache zu fragen. Erst der trinkende Student fand diesen Mut. Gewiß: beantworten konnte auch er diese Frage nicht, das mußte er den Professoren überlassen, die die merkwürdige Erscheinung längst auf die Männlichkeit des Bockes zurückgeführt haben; aber schon der Mut, eine solche Frage zu stellen, ist bewunderungswürdig.
Die Behauptung:
»Häßlichkeit entstellet immer,
Selbst das schönste Frauenzimmer.«
erfordert schon weit weniger Mut. (Denn wenn ein schönes Frauenzimmer durch Häßlichkeit entstellt wird, was nützt ihm dann seine ganze Schönheit?! Ja: kann man in einem solchen Falle überhaupt noch von einem »schönen Frauenzimmer« sprechen? Mein ernsthafter Freund verneint es rundweg.)
Von kühnstem, bis in die Polarregionen vordringendem Forschergeiste zeugen die sehr belehrsamen und bildungsvollen Verse vom Eskimo.
»Der Eskimo – lebt manchmal wo;
Doch manchmal, da lebt er wo anders.
Er trinkt den Thran – wie Bier der Mann
Und reibet damit Salamanders.«
Aber das alles, so tief es ist, ist noch seicht und trivial im Vergleich zu dem Liede vom Frack!
»O wie bimmel, bammel, bummelt
O wie bimmel, bammel, bummelt
O wie bummelt mir mein Frack!
Ich hab noch nie einen Frack gehabt,
Der mir so sehr gebimmelbammelt hat.
O wie bimmel, bammel, bummelt
O wie bummelt mir mein Frack!«
Dies, ich wage das schämige Geständnis, ist mir das Höchste in der Dichtkunst. Hier ist nur Empfindung, Beobachtung und Bericht von Thatsachen; alle Reflexion ist vermieden. Der Dichter verzichtet auf jegliches intellektuelle Moment, er ist ein Volldichter. Dieses Werk konnte geschaffen und dann genossen werden bei gänzlich exstirpiertem Gehirn, ausschließlich mit Hilfe des Plexus solaris, jenes famosen Gangliengeflechts in der Magengegend. Über den Vortrag sei folgendes bemerkt: die Hände ruhen bis zu den Ellbogen in den Hosentaschen, die Cigarre hängt genau senkrecht im linken Mundwinkel, der Blick tastet mit elegischer Zärtlichkeit am Frack hinunter und sucht vergeblich den vorderen Teil der Schöße. Tempo: das hartnäckigste Largo, nach Mälzel = 1. Aber –:
Jetzt kommt ein wichtiges Aber. Auch in diesem höchsten Moment soll der Kneipant noch so viel Herrschaft über sich besitzen, daß er mit ernster Hingabe singt und sich im stillen über seinen Ernst unbändig amüsiert. Der größte Blödsinn wird ernst genommen: eben das macht den Kommers zu einem Bild des menschlichen Lebens. Und wen solch ein Ernst von Herzen heiter stimmt, der ist ein Herr des Lebens. Und das soll der Kneipant sein. Wir wollen mit dem Stumpfsinn spielen wie Brutus, und nachher wollen wir allerlei Tyrannen zum Teufel jagen. Sollte einer unter euch, liebe Brüder, gewähnt haben, daß ich die Entwickelung unseres Vaterlandes zur Bierarchie befördern helfen wolle, so hat er geirrt. Und wenn das edelste Münchener Bräu oder das süffigste Gold vom Rhein in Strömen fließt: oben auf schwimme der Mensch. Ihr sollt, liebe Brüder, euer geehrtes Innere begießen, auf daß der Mensch in euch zur Blüte komme.
Nein, das meine ich natürlich nicht, daß einer ein steifes Genick haben soll, daß einer sich nie vergessen soll, nie sich heiser singen soll, daß er für alles Getriebe um ihn her einen kühlen Polizeiblick bewahren soll, daß er ein dicker Klotz oder Pfahl sein soll, der von keinem Freudenstrudel sich fortreißen läßt. Solche Scheusale gehören in die Wolfsschlucht. Gottlob giebt es aber noch starke Kerle, die mitten durch Tabak- und Freudenqualm einen freundlich-festen Blick balancieren können, denen in seligsten Sekunden eherne Entschlüsse reifen und die, wenn’s notthut, auf beide Füße springen und Männer sein können.
Denn bei einem rechten Kommers singt man ja auch solche Lieder wie »Freiheit, die ich meine« mit den seligschönen Versen:
»Auch bei grünen Bäumen in dem lust’gen Wald,
Unter Blütenträumen ist dein Aufenthalt.
Das ist rechtes Leben, wenn es weht und klingt,
Wenn dein stilles Weben wonnig uns durchdringt.
Wo sich Männer finden, die für Ehr‘ und Recht
Mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht.
Das ist rechtes Glühen, frisch und rosenrot:
Heldenwangen blühen schöner auf im Tod.«
und solche Lieder, wie »An der Saale hellem Strande« mit den Versen:
»Drüben winken schöne Sterne,
freundlich lacht manch‘ roter Mund«
und mit fern versinkendem Blick sieht dann der Sänger alle Schönheit deutschen Landes: er hört den heiligen Gesang seiner Wälder und blickt mit sinnenden Gedanken hinaus in ihre grünen Dämmerungen und hinab in den bilderreichen Spiegel heimatlicher Ströme. Und wie vom Söller her ihm schöne Augensterne winken, steht in seinem Herzen der junge, süße Wirbelsturm der Liebe auf. Und schön ist in jungbrausender Seele der ernste Gedanke an den Tod für ein heiliges Gut.
Jugend sei das vornehmste Getränk an eurem Tisch. Daß ihr aber auch im grauen Haar noch jubilieren möget, bewahrt in eurem Keller von diesem edelsten Getränke ein ungeheures Faß, das bis ans Lebensende vorhält. Eines der herrlichsten Gebete, die je gesprochen worden, ein Gebet Heinrich Heines, sprecht es täglich nach; es heißt: »Ihr Götter, ich bitte euch nicht, mir die Jugend zu lassen; aber laßt mir die Tugenden der Jugend, den uneigennützigen Groll, die uneigennützige Thräne!«
Und nicht so soll es sein, wie in jenem spöttischen »Rückerinnerungslied«, wo es heißt:
»Heute Kriegsgeschrei und Fehde allem, was die Lust vergällt,
Morgen salbungsvolle Rede über diese Sündenwelt.
Heute Feindschaft dem Philister, der gehorsamst denkt und schweigt,
Morgen vor dem Herrn Minister demutsvoll das Haupt geneigt.«
So soll es nicht sein, liebe Brüder, so nicht! Auch sollen die Jungen unter euch nicht meinen, daß sie nachher mit der schneidigen Wurschtigkeit der Bierlogik und Bierjustiz auf den Köpfen ihrer Mitmenschen herumpräsidieren können. Wer vom großherzigen und großäugigen Jugendtrutz nichts hinüberrettet in sein Manneswerk, den soll, was er gekneipt hat, wiederkneipen, dem soll jeder Tropfen zu Gicht werden, und die soll ihm in den Hinterfüßen nur so lange rumoren, bis er ernstlich anderen Sinnes wird.
Und wenn er dann einmal wieder mit alten und ältesten Herren zusammenkommt zu fröhlicher Runde und er vom Angesicht der andern den Wandel der Dinge liest, wenn er in eines Augenblicks Erleuchtung überschaut, was alles anders gekommen, wie er es einst gehofft, und von den Wänden ein ernstes Wort hallt: Vergänglichkeit – wenn dann das herrlichste und wehmutvollste aller fröhlichen Lieder steigt, das Lied von der dahingeschwundenen Burschenherrlichkeit, und wenn zuletzt der feierliche Augenblick kommt, da alles sich erhebt und einstmals oft verflochtene Hände sich wiederfinden: Dann mag er’s mit ehrlich bejahendem Herzen mitsingen, das schöne Bekenntnis:
»Klingt an und hebt die Gläser hoch,
Die alten Burschen leben noch,
Es lebt die alte Treue!
Es lebt die alte Treue!«
Und nun, liebe Brüder, wollen wir trinken auf alle, die vom breiten Stein nicht wanken und nicht weichen. Aber auf die, die verlernt haben, daß es Tage giebt »von besonderem Schlag«, Tage, so schön, daß man zu ihnen gar nichts anders sagen kann als » Ergo bibamus!« – auf die – auf die wollen wir auch trinken. Schon um unsertwillen. Das wäre ja auch noch schöner, wenn wir um deretwillen dürsten sollten! Wir wollen auf sie trinken in der Hoffnung, daß sie sich bessern. Auf jeden einzeln! Das schmeichelt ihnen; das greift ihnen an die Ehre. Dann gehen sie in sich.
Nachher trinken wir dann noch auf die Temperenzler; das sind sie uns schuldig. Prost!
- Alle Lieder und Beiträge zu Kommersieren - Zu diesem Eintrag in das Liederlexikon das Volksliederarchiv durchsuchen und alle Lieder, Texte und Beiträge finden.
CDs und Bücher mit Kommersieren: