Liederlexikon: Kommersieren
Begriffe | 1926Der Gesang! Er ist die Blüte des Kommerses und offenbart also seine höchsten Schönheiten. Ich müßte ja ein Werk schreiben von der Dicke des »großen Meyer«, wollte ich das Thema »Die Studentenseele im Lied« auch nur achtelwegs erschöpfen. Welch ein sanguinischer Optimismus in dem herrlichen Refrain
»O Rothschild, Rothschild,
Rothschild, schick Geld, schick Geld!«
Es fällt Rothschild ja gar nicht ein, Geld zu schicken; aber das macht diese gläubige Bitte ja noch rührender. Welch hinreißende Beweisführung in den Versen
»Bums vallera, die Welt, die Welt ist wunderschön,
Bums vallera, die Welt ist wunderschön!«
In sechs Worten ist hier eigentlich alles gesagt; das »Bums vallera« ersetzt den ganzen Leibniz. Gegen Bumsvallera gibt es keine Instanz. Nur aus einer solchen Weltanschauung kann jene großgeistige Überlegenheit erwachsen, die nirgends erhabener zum Ausdruck gekommen ist als in den Worten:
»Was man draußen von uns meint,
Kann uns Schlacke sein,
Ist uns auch ganz schnurz!«
Aber weit gefehlt wär‘ es, zu glauben, daß dem Studentenherzen die pietätvollen Gefühle fremd wären! Man beachte in dem allbekannten »Fuchsenliede«, mit welch‘ zärtlichem Interesse sich der ganze Chor nach des Fuchsen Papa und Mama, nach der Mamsell Soeur und sogar nach dem Herrn Rektor erkundigt, man beachte, mit welch‘ teilnehmender Sorge sich die ganze Corona mitten im Taumel der Jugendlust erkundigt, ob denn der alte Hauschildt noch lebe, und mit welcher innigen Genugtuung sie die frohe Nachricht, daß der alte Hauschildt immer noch lebe, ins Ungemessene wiederholt. Überhaupt nimmt sich der Student mit der schönen Weitherzigkeit der Jugend der alten Leute an, besonders da, wo man diesen das Recht zum Trinken verkürzen will.
»Olle Winkelmann, olle Winkelmann,
Was süppst du denn so sehre?«
Und nun die Entgegnung des alten würdigen Mannes:
»Wat geiht di denn min Supen an,
Wenn ick et man betahlen kann!«
Das erinnert an die wuchtigen Schlagverse einer antiken Tragödie. Und hat er denn nicht recht, der alte Mann? Und wie recht hätte er erst, wenn er’s nicht bezahlen könnte! Die Frage, ob mit diesem berühmten Dialog eine Ehrung des alten Kunsthistorikers Winckelmann beabsichtigt sei, ist für den dichterischen Wert ganz belanglos. Die Verse gelten eben für jeden Winckelmann, wenn er auch ganz anders heißt.
»Ein altes Weib auf der Turmspitze saß
Und sauren Kohl mit Käse aß« –
ja – wer, frage ich, würde sich mal um die alte Frau kümmern, wenn es nicht der kommersierende Student thäte?! Und wie ungerecht ist die Beschuldigung, daß er über dem Kneipen die Studien vernachlässigte! In den allbekannten Versen
»Der Herr Professor
Liest heut‘ kein Kollegium,
Drum ist es besser,
Wir trinken eins rum«
ist es doch für jeden Wohlmeinenden offen ausgesprochen, daß nur deshalb getrunken wird, weil der Herr Professor nicht liest, und wenn hämische Gesellen behaupten, der Herr Professor lese eben deshalb nicht, weil alle Studenten trinken gegangen wären, so ist das für den Effekt ja ganz gleichgültig. Jedenfalls zeigt das gediegene Lied
»Gennn–eral Laudon, Laudon rückt an, an, an,
Gennn–eral Laudon, Laudon rückt an.
Laudon rückt an, an, an,
Laudon rückt an, an, an,
Gennn–eral Laudon, Laudon rückt an.«
auf das deutlichste, daß die Studenten sogar bei der Kneipe unermüdlich Geschichte repetieren, und wer aus eigener Bemühung weiß, welch unausgesetztes Studium es erfordert, den »Abt von Philippsbronn« mit »Pst« und Pfiff und Schnalz- und Schnarchgetön (im richtigen Tempo bitte!) zu singen, und wer beobachtet hat, bis zu welcher idealen Vollkommenheit es darin selbst schwächer begabte Talente bringen, der kann den Studiertrieb der kommersierenden Jugend nicht anders achten als hoch.
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