Liederlexikon: Kommersieren

| 1926

Welche Fülle realpolitischen Verstandes liegt schon in der Konstitution dieses Bierstaates!

»Wer am besten saufen kann, ist König,
Bischof, wer die meisten Mädchen küßt.
Wer da kneipt recht brav,
Heißt bei uns »Herr Graf«,
Wer da randaliert, wird Polizist.«

Es ist gleichsam etwas Serbisch-Bulgarisches in dieser Verfassung und Gesellschaftsordnung. Und wie klug ist die Strenge jener Gesetze über Biergericht und Bierskandal, Vor- und Nachtrinken und ex pleno-Bieten &c. &c.; mit welcher Sicherheit und Schwere trifft sie den gefährlichsten Feind des Bierstaates, den unheimlichen »Knacker« und »Glasbeißer«, der sich der allgemeinen Trinkpflicht tückisch entziehen möchte! Den modernen Rechtsstaat erkennt man bekanntlich daran, daß in seinen Bezirken möglichst viel und kräftig verdonnert wird. So auch den Bierstaat. Ein eifriger Bursch oder gar Präside oder Bierrichter wird immer Gelegenheit finden, einen Kneipanten mit strengster Gerechtigkeit und Unparteilichkeit zu verknurren, und wenn der Verknurrte das kostspielige Rechtsmittel der Berufung ergreift, so ist das im Interesse der Hebung des Konsums natürlich nur mit wilder Freude zu begrüßen. Wer den Strapazen dieses Rechtsstaates nicht gewachsen ist, der muß sich eben rechtzeitig weinend aus diesem Bund stehlen. Nur er, den das allgemeine Vertrauen zum Lenker des Staatsschiffs berufen hat und den das Gefühl von der Erhabenheit seines Herrscherberufs und von der Infallibilität seiner Entscheidungen erheben darf, er, der Präside, muß als der widerstandsfähigste Schiffer auf seinem Posten ausharren können, muß trotz Nacht und Nebel, trotz Auf- und Abstoßen und trotz allem Schwanken des Fahrzeugs und aller Seekrankheit sein Schiff zu den sonnigen Gestaden der Fidulitas lenken, muß auch das sinkende Schiff als Letzter verlassen, und bliebe ihm schließlich nichts zum Umklammern als eine frischgeteerte Planke. Daß ein solcher Mann mit weitgehender Macht und Autorität ausgestattet sein muß, ist klar. Mit einer über alle subversiven, zentrifugalen und anulkenden Tendenzen erhabenen Schneidigkeit muß er die Zügel straff halten können und in ernsten Augenblicken den Mut zum skrupellosen Blödsinn besitzen. Er muß Tempo und Rhythmus des Festes angeben, wie er Tempo und Rhythmus der Gesänge (eine eminent wichtige Sache!) bei aller Nachsicht gegen Melodie und Tonart mit wachsamer Strenge bestimmt.

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