Liederlexikon: Fichte

| 1908

Die Fichte war der hauptsächliche Kultbaum der Süddeutschen (Alemannen und Bajuvaren). Wie die Fichte hier die Laubhölzer früherer Jahrhunderte in den Bergen und Wäldern verdrängt hat, so hat sie auch in den Volksfesten und Volksanschauungen die Buche, Birke und andere Laubbäume vertrieben. Als Dorfmaibaum wie als Pfingstmaie tritt die Fichtentanne ein. Auch auf den First des neugebauten Hauses wird eine Fichte als der schützende Walddämon gesetzt.

Zu Pfingsten wird in Hasserode (Harz) eine Tanne als Maibaum errichtet. Ebenfalls wird eine Tanne im, Weidenauer Bezirk (östr. Schlesien) in der Mitte des Dorfes errichtet, aber am Walpurgistag. Eine hohe geschälte Fichte ist der Maien in den katholischen Dörfern um Ellwangen (Württemberg), an deren obere Spitze ein kleinerer Tannenbaum mit Bändern geschmückt als Wipfel angeheftet ist. Auch in Frankreich ist an vielen Orten eine Tanne, als Dorfmaien gebräuchlich, sie wird aber um Mittsommer errichtet.

Im Elsaß wie in Oberbayern stellt der Geliebte nachts vor dem ersten Mai eine, schlanke Tanne, zuweilen mit Blumen und Bändern geschmückt, vor das Fenster der Geliebten. Sie ist, wie wir sahen, der Lebens- und Segensbaum des Liebsten bzw. der Liebsten. Sie wird zum .Symbol der reinen, treuen Liebe. (Siehe Ergänzungsband).

Schlechten Weibsbildern setzt man am Lechrain dürre Bäume vor das Haus. — Uebrigens gilt in Japan die Fichtentanne als Symbol der körperlichen Kraft des Bräutigams, während ein Miniaturpflaumenbaum das Symbol der weiblichen Schönheit der Braut ist. Bei Verlobungen stellt man diese beiden in zwei Töpfchen auf den Tisch.
Als Lebenrute dient die Fichtentanne in den Gegenden von Hildesheim, Braunschweig bis Halberstadt hin. Zwischen Halberstadt und Braunschweig peitscht man sich gegenseitig mit Tannenreisern zu Aschermittwoch und nennt das nach dem Tage „Asch abkehren“. Im Hildesheimschen fuhet (futtelt) man zu Fastnachten die Mädchen und Frauen mit einem bänderbeschmückten kleinen Tannenbäumchen an die Knöchel. Am Tage darauf „fuhen“ die Mädchen und Frauen.

Auch sexuelle und erotische Mittel spendet die Fichtentanne. Fichtenrinde dient zu Lohbädern bei Mutterleiden. — Die grünen Zirbeln der Fichten werden zerstoßen, ehe sie holzhart werden, in Wasser gebrannt, dann netzt man leinene Tücher darein und legt diese auf die Brüste, daß diese nicht groß wachsen. Bekanntlich galten kleine Brüste in früheren Jahrhunderten als Zierde der Frauen. — Solches Zirbelwasser trieb auch die ausfallende Mutter wieder hinein; man wusch auch das heimliche Gemach damit, um es enger und zur Wollust empfindlicher zu
machen (Mattioli).

 


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