Liederlexikon: Bickel-Kättel

| | 1831

Katharina Bickel-Roth , genannt ´s Bickel-Kättel lebte von 1831 bis 1917. In Verklingende Weisen (1926) heisst es über sie: „Sie war wie die Grille in der Fabel. Vom Lesen und Schreiben hatte sie keine Ahnung. Statt ihres Namens setzte sie ein Kreuz. Aber Lieder aller Art wusste sie wie Papa Gerné. Ihre sichere Intonation liess deutlich erkennen, dass sie in den Gruppen beim Singen tonangebende Chorführerin war. Nur schade, dass ihre schönen, alten Lieder manchmal so arg zersungen waren, was die Aufnahme der Lieder bei ihr nicht wenig erschwerte. […] Gelegentlich des Todes der Bickel-Kättel brachten die „Lothringer Volkstimme“ und das „Metzer Katholische Volksblatt“ nachstehenden Artikel

Nachruf auf die Bickel-Käthel

(Roth-Hambach, den 19. 10. 1917)

Der letzten eine, die noch von den uralten Volksliedern zu singen wussten, ´s gut alt Bickel-Kättel, haben wir gestern zu Grabe getragen. 86 Jahre wurde sie alt und hat ihre Sangesfreude bis in den Tod bewahrt. Noch bis vor einigen Tagen hat sie Freunden der lothringischen Volkskunde ihre alten Lieder vorgesungen, damit diese in Text und Melodie späteren Zeiten erhalten blieben. Dabei wusste sie so alte Lieder, dass noch unlängst der Leiter des deutschen Volksllederarchivs, in Erinnerung an einen Besuch vor dem Kriege, schrieb: „Damals durfte ich auch von der alten Frau das „Lindenschmiedlied“ hören und habe mich sehr daran gefreut. Es ist jedenfalls selten in Deutschland, dass sich derartige alte Balladen wie diese und die vom „Grafen Backewill“, die ich auch damals hörte, bis zur Gegenwart erhalten haben.“

Und deren wusste ´s  Bickel-Kättel viele — Lieder, die in der Volksliedkunde bis ins 16. Jahrhundert verfolgt werden, die Clemens Brentano vor mehr als 100 Jahren zum Teil auch in Des Knaben Wunderhorn , aber leider ohne die Melodie aufgenommen hatte. Musikkenner waren geradezu verblufft über die Sicherheit dieser alten Frau bei der Intonation. Sie kannte die „Wies“ (Melodie) besser noch als die „Stollen“ (Strophen), und wenn mal der Text eines Verses oder einer Strophe versagte, so half ihr die „Wies“ wieder auf die Spur. Es war oft spassig, wenn sie beim Vorsingen zur genaueren Aufnahme eine Stelle wiederholen sollte und dann von denen, die die Strophen niederschrieben, verlangte, sie sollen´s jetzt mal singen, damit sie höre, ob er´s bald kann.

Man merkte, sie hatte in ihrer Jugend gewiss viele singen gelehrt, und sie erzählte mit Stolz, wie sie als junges Mädchen mit Andacht stundenlang am Abend vor der Türe sass und gesungen hat, wie aber der alte Herr Cilly (ihr früherer alter Herr Pastor) sie auch oft deshalb gescholten habe. Aber nichtsdestoweniger hat sie ihre „Schätzelslieder“ noch bis in ihre alten Tage hinein am Flechtstock stillvergnügt vor sich hergesungen, um — fast möchte man sagen — beim Singen ihre Armut und Einsamkeit zu vergessen.

Es ist schade, dass sie schon gestorben ist, denn sie wusste doch noch das eine oder andere Lied, das sie aber jetzt mit ins Grab genommen bat. und es träumte mir sogar heute Nacbt von Ihr, sie habe am Eingang der Kirche von Roth auf mich gewartet und mir gesagt, sie wüsste noch ein schönes Lied. Und sie bat es mir auch vorgesungen, aber ich konnte nur den ersten Vers verstehen, den zweiten schon nicht mehr, und sie konnte mir auch nicht einmal mehr den Inbalt des Liedes angeben. Erwacht konnte ich aber auch diesen ersten Vers nicht mehr finden und gerne hätte ich ´s Bickel-Kättel nochmal zurückgerufen, doch die gute alte Frau ruht in Frieden am Eingang der alten Rother Kirche und wartet unter dem schlichten Holzkreuz auf den, der sie am jüngsten Tag ruft. —

Ihre Lieder aber sind verklungen. Vielleicht findet sich indes in Lothringen doch noch das eine oder das andere dieser alten Volkslieder, die es wirklich verdienen, dass sie nicht alle mit den guten Alten ins Grab sinken, und unter den Lesern der „Volksstimme“ und des „Volksblattes“ Ist sicher mancher Volksfreund, der sich´s zur Freude macht, sich von alten Leuten solche alten Lieder vorsagen und vorsingen zu lassen, damit sie, gesammelt, noch spätere Generationen erfreuen. für jede diesbezügliche Mitteilung wäre von Herzen dankbar Pastor Pinck in Hambach. „

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