Am Garten zu Schönbronnen
Da liegt der König von Rom
Sieht nicht das Licht der Sonnen
Siehet nicht den Himmelsdom
Am fernen Inselstrande
Da liegt Napoleon
Liegt da zu Englands Schande
Liegt da zu Englands Hohn
Im Garten zu Schönbronnen
Da liegt der König von Rom
Sein Blut ist ihm geronnen
Es stockt sein Lebensstrom
Am fernen Inselstrande
Da liegt Napoleon
Liegt nicht in seinem Lande
Liegt nicht bei seinem Sohn
Liegt nicht bei seinen Kriegern
Bei den Marschällen nicht
Liegt nicht bei seinen Siegern
Liegt in Europa nicht
Liegt hart und tief gebettet
Im fernen Meereskreis
Am Felsen angekettet
Ein toter Prometheus
Wo Baum und Blatt und Reiser
Versenkt vom Sonnenstrahl
Da liegt der große Kaiser
Der kleine Korporal
An seinem Grabe stehen
Zypress und Blumenstab
Am Tage Allerseelen
Besucht kein Mensch sein Grab
So liegt er lange Iahre
in öder Einsamkeit
Da klopft es an die Bahre
Um mitternächtge Zeit
Es klopft und rufet leise
Mach auf Du toter Held
Es kommt nach langer Reise
Ein Gast aus jener Welt
Es klopft zum zweiten Male
Mach großer Kaiser auf
Es kommt vom Erdentale
Ein Bote Dir herauf
Es klopft zum dritten Male
Mach Vater auf geschwind
Es kommt im Geisterstrahle
Zu Dir Dein einzig Kind
Da weichen Erd und Steine
Es tut sich auf der Sarg
Der lange die Gebeine
Des größten Helden barg
Da streckt des Kaisers Leiche
Die Knochenarme aus
Und zieht das Kind das bleiche
Hinab ins Bretterhaus
Und ziehet es hernieder
So seh ich teurer Sohn
Seh ich Dich endlich wieder
Mein Kind Napoleon
Und rücket an die Seite
Und rücket an die Wand
Mein Kind das ist die Breite
Von meinem ganzen Land
Da schlingen die Gerippe
Die Knochen in einand
Und liegen Lipp an Lippe
Und liegen Hand in Hand
Und zu derselben Stunde
Schließt auch das Grab sich schon
Das war die letzte Stunde
Vom Haus Napoleon
Text: Moritz Gottlieb Saphir (Die letzte Stunde des Hauses Napoleon , 1832)
Musik: eigene Melodie, kann auch nach der Melodie „Dort oben auf jenem Berge“ (Da droben auf jenem Berge?) gesungen werden
in Als der Großvater die Großmutter nahm (1885)