Und ob ihr sie, ein edel Wild
mit euren Henkersknechten fingt
Und ob ihr unterm Festungswall
standrechten die Gefangne gingt
Und ob sie längst der Hügel deckt
auf dessen Grün ums Morgenrot
Die junge Bäurin Kränze legt –
doch sag ich euch: sie ist nicht tot
Und ob ihr von der hohen Stirn
‚das wehnde Lockenhaar ihr schort
Und ob ihr zu Genossen ihr
den Mörder und den Dieb erkort
Und ob sie Zuchthauskleider trägt,
im Schoß den Napf voll Erbsenbrei
Und ob sie Werg und Wolle spinnt –
doch sag ich kühn euch: Sie ist frei!
Und ob ihr ins Exil sie jagt,
von Lande sie zu Lande hetzt
Und ob sie fremde Herde sucht
und stumm sich in die Asche setzt
Und ob sie wunde Sohlen taucht
in ferner Wasserströme Lauf
Doch ihre Harfe nimmermehr
an Babels Weiden hängt sie auf
O nein – sie stellt sie vor sich hin;
sie schlägt sie trotzig, euch zum Trotz!
Sie spottet lachend des Exils,
wie sie gespottet des Schafotts!
Sie singt ein Lied, daß ihr entsetzt
von euren Sesseln euch erhebt
Daß euch das Herz – das feige Herz,
das falsche Herz! – im Leibe bebt
Kein Klagelied! kein Tränenlied!
kein Lied um jeden, der schon fiel
Noch minder gar ein Lied des Hohns
auf das verworfne Zwischenspiel
Die Bettleroper, die zurzeit
ihr plump noch zu agieren wißt
Wie mottig euer Hermelin,
wie faul auch euer Purpur ist
O nein, was sie den Wassern singt,
ist nicht der Schmerz und nicht die Schmach –
Ist Siegeslied, Triumpheslied,
Lied von der Zukunft großem Tag!
Der Zukunft, die nicht fern mehr ist!
Sie spricht mit dreistem Prophezein
So gut wie weiland euer Gott:
Ich war, ich bin – ich werde sein!
Ich werde sein, und wiederum
voraus den Völkern werd ich gehn
Auf eurem Nacken, eurem Haupt,
auf euren Kronen werd ich stehn
Befreierin und Rächerin
und Richterin, das Schwert entblößt
Ausrecken den gewalt’gen Arm
werd‘ ich, daß er die Welt erlöst
Ihr seht mich in den Kerkern bloß,
ihr seht mich in der Grube nur
Ihr seht mich nur als Irrende
auf des Exiles dorn’ger Flur
Ihr Blöden, wohn‘ ich denn nicht auch,
wo eure Macht ein Ende hat:
Bleibt mir nicht hinter jeder Stirn,
in jedem Herzen eine Statt?
In jedem Haupt, das trotzig denkt?
das hoch und ungebeugt sich trägt?
Ist mein Asyl nicht jede Brust,
die menschlich fühlt und menschlich schlägt?
Nicht jede Werkstatt, drin es pocht?
nicht jede Hütte, drin es ächzt –
Bin ich der Menschheit Odem nicht,
die rastlos nach Befreiung lechzt?
Drum werd ich sein, und wiederum
voraus den Völkern werd ich gehn
Auf eurem Nacken, eurem Haupt,
auf euren Kronen werd‘ ich stehn
´s ist der Geschichte ehrnes Muß!
Es ist kein Rühmen, ist kein Drohn –
Der Tag wird heiß – wie wehst du kühl,
o Weidenlaub von Babylon!
Text: Ferdinand Freiligrath : Die Revolution (1851)