Ich war erst sechzehn Sommer alt
Unschuldig und nichts weiter
Und kannte nichts als unsern Wald
Als Blumen, Gras und Kräuter
Da kam ein fremder Jüngling her
Ich hatt ihn nicht verschrieben
Und wußte nicht wohin noch her
Der kam und sprach von Lieben
Er hatte schönes langes Haar
Um seinen Nacken wehen
So einen Nacken, als der war
Hab ich noch nie gesehen
Sein Auge, himmelblau und klar!
Schien freundlich was zu flehen
So blau und freundlich, als das war
Hab ich noch kein´s gesehen
Und sein Gesicht, wie Milch und Blut
Ich habs nie so gesehen
Auch was er sagte, war sehr gut
Nur konnt ichs nicht verstehen
Er ging mir allenthalben nach
Und drückte mir die Hände
Und sagte immer O und Ach
Und küßte sie behende
Ich sah ihn einmal freundlich an
Und fragte, was er meinte
Da fiel der junge schöne Mann
Mir um den Hals und weinte
Das hatte niemand noch getan
Doch war´s mir nicht zuwider
Und meine beiden Augen sahn
In meinen Busen nieder
Ich sagt ihm nicht ein einzig Wort
Als ob ich´s übel nähme
Kein einzigs, und – er flohe fort
Wenn er doch wieder käme
Text: Matthias Claudius (1770 „Phidile“)
Musik: a) J. A. P. Schulz (1779) — b) Johann Friedrich Reichardt (1779) — c) Eine andere Singweise im Göttinger Musenalmanach (1776)