Hör ick uff Reisen det Jeläster
Wie se so schimpfen uff Berlin
Un seh nu so die ändern Nester
Denn is des doch der reene Kiehn
In´n kleenen Finger is et mir lieber
Wie London samt Paris und Wien
Un Rom erseht mit den faulen Tiber
Da jeht doch unse Spree weit driber:
Ick stamme nämlich aus Berlin
Die Alpen sind ja ooch janz niedlich
Doch zieh ick unsen Kreuzberg vor
Wie er so daliejt, hibsch, app´titlich
Vor des verwich´ne Hall´sche Dor
Und wenn nu jar zur Herbstparade
De Milleteers nach Templof ziehn
Schimpft ick ooch uff die Steuern jrade
Voruff marschier ick ohne jnade
Denn dafor stamm ick aus Berlin –
Un wie sich allens hier entwickelt
So fix bis in die Puppen hat
Det´s stolz mir in deJIieder prickelt
Hier is die deutsche Kaiserstadt
Ringsum Asfalt un Ferdebahnen
Det ville Bogenlampenjiiehn
Un wenn wat los, die Masse Fahnen
Det ließ ick frieher mir nich schwanen
Un ick bin doch nur aus Berlin
For´n Fortschritt bin ick nämlich eklig
Uffklärung, Freiheit, Recht und Licht
Bloß manches stimmt mir manchmal kräglig
Und manche Neu´rung paßt mir nicht
So einiges aus friehere Zeiten
Was als „veraltet“ wird verschrien
Des hatte doch ooch jute Seiten
Det laß ick mir nu nich bestreiten
Denn dafor stamm ick aus Berlin
In´n Jeist oft seh ick ooch von Ferne
Die Höckersfrau an´n Spittelmarcht
Die hört ick schimpfen jar zu jerne
Was mir jewiß keen Mensch verarcht
Denn so was jiebt´s nich mehr von Jalle!
Jetzt sitzen se mang´s feinste Jrien
Jroßartig in die neue Halle
So schimpft keen Mensch mehr in-Berlin
Un denn den richt´gen Schusterjungen
Mit vorneweg des jroße Maul
Den hat der Zeitgeist ooch bezwungen
Un mit den Nachwuchs is es faul
Dutz man so´n Bengel jetzt: in Hitze
Kommt er, man kann sich dran verbriehn
Stolziert mit uff´n Kopp ne Mitze
Doch leider: Schusterjungens-Witze
Die jiebt´s fast nich mehr in Berlin
Denn stimmt mir außerdem noch triste
Ooch von´t Jesetz der „lange Arm“
Wat so der friehß re Polleziste
Der war erst Mensch un dann Schandarm
Jetzt sitzt der Schutzmann uff die Stute
Wie ne Pajode uff´s Kamin
Un zieht so so´ne grimmige Schnute
Mir wird janz bliemerant zumute
Det war sonst anders in Berlin
Un besser is doch ooch jewesen
Det man in die Konditorei
De Blätter konnte ruhig lesen
Womit es nu fast janz vorbei
Jetzt heißt die Losung „Wiener Kaffee“
Wodrein mir nich zehn Ferde ziehn
Da sitzt man immer wie so´n Affe
In ne durchsicht´ge Glaskaraffe
Es stiert in´s Maul ee´n halb Berlin
So zum Eckzempel ist´s bei Bauer
Na, un was „Keck“ un „Natzional“
Die Mädchens alle uff de Lauer
Det is wahrhaftig ein Schkandal
In´n Kaiserhof is´t mir zu ethe
Da jehn bloß lauter Dichters hin
An jeden Disch von frih bis späte
sitzt mindestens een junger Jöthe:
Det is zu ville for Berlin
Un jar die echten Bierpaläste
Mir schaudert reeneweg die Haut
Wenn immer wieder eener feste
wird auf den ändern druffjebaut
Da muß des Natzionaljetränke
natierlich in de Winkels fliehn
Jott, wenn ick so an Clausing denke
An Paepkens olle Weißbierschenke
und Rudolf Haasen aus Berlin
Un so is noch ne janze Masse
wo des wie Kloßbuljong so klar
Wenn ick et mir in´t Auge fasse:
Daß des doch früher anders war
Indes jedoch ins jroße Janze
Behaupt ick immer stolz un kiehn
Als richtige Berliner Flanze
Et jiebt in solchen Wix und Jlanze
Bloß eene Kaiserstadt: Berlin
Text und Musik: Verfasser unbekannt – Titel: „Spießbürgers Lob- Klage und Trostgesang“ – Lieder auf die „Errungenschaften“ der Kaiserstadt Berlin – aus Berlinisches Liederbuch , Sorau , 1891
nach: Mutter der Mann mit dem Koks ist da (1977)