Vorwort: Volkssagen, Märchen und Legenden (1811)

Johann Gustav Büsching (in: Volkssagen, Märchen und Legenden)

Ein jedes Land hat seine Sagen und Märchen. Erstere schließen sich an die Geschichte an, sind oft selbst an Orte des Landes geknüpft und mit ihnen, durch den Mund des Volks, selbst bei der Ruine, noch unwandelbar verbunden. Eigene, wahrhafte Märchen führen diese zweifelhaften Gebilde ganz in das heitere Reich der Dichtkunst und die Legenden, Sagen, Märchen und Religion so wundersam oft verschlingend, will notwendig mitgenommen sein, wenn eines oder das andere ganz verstanden werden soll. So wurden auch diese drei von mir verbunden, nach den Völkern, so viel es ging, geordnet, und ihnen im Innern wieder eine chronologische Stellung gegeben, da oft, nicht gering gewichtig, der ganze hohe und gefallene Sinn des Volkes sich in den frühsten und späteren Märchen, wie in den Liedern, ausspricht.

Einige Sagen und Märchen schwebten frei, sie gehörten keinem Volke und möchten dann wohl meistenteils großes Gemeingut des mächtigen Mittelalters sein. Andere wiederholen sich unter mehreren Volksstämmen mehrfach und sollen bald hier, bald dort geschehen sein. Gewöhnlich liegt ihnen eine religiöse oder moralische Tendenz zum Grunde und jedem Hörer waren sie daher gerecht, sie in seine Nähe zu verlegen und dadurch eindringlicher zu machen; denn ein nahes Unglück oder ein Gräuel im benachbarten Orte erschreckt die Gemüter immer mehr, als eines im ferneren Lande.

Wie die Chronik, wie dies und jenes Buch, wie der Mund des Volks, oder der Freunde, wie die eigene Erinnerung mir die Sage und das Märchen einfach gab, so stellte ich sie auch hin. Gerne vermied ich die reiche Gelegenheit bogenlanger Anmerkungen, mich nur kurz begnügend den historischen Zusammenhang, die literarischen Nachweisungen, Abweichungen, Übereinstimmungen verschiedener Stämme oder auch übereinstimmung mit fremden Sagen anzugeben, da sich so vieles von selbst gibt und fügt, manches aber auch durchaus überflüssig gewesen sein würde, vielleicht schon jetzt ist.

So hat denn ein neues Märchenreich in meiner Phantasie ein lustiges Lager aufgeschlagen. Die Lieder, Gesänge und Sagen der Altvordern haben es gegründet und im bunten Kreise bewegt sich jene Welt des Mittelalters vor mir. Schon einige male wagte ich es, diese Welt auch anderen zu eröffnen; Freunde erfreuten mich durch Beifall, halbe Freunde betrachteten vornehm und mit einer gewissen Wichtigkeit, immer sich meinem Standpunkte entgegen, niemals in ihn, stellend, meine Erzeugnisse und beurteilten so halb, daSS mir die dritte Klasse derjenigen, die ihr Verdammungsurteil rein aussprach, bei weitem lieber war. Sie haben doch eine Ansicht, und geben sie, wie sie dieselbe haben.

In neuem Felde trete ich diesen Dreien entgegen, sie freundlich begrüßend und bittend, wenn ihnen diese Sagen und Märchen, die schon mannichfach einst durch ihre Jugend gingen, gefallen, auch auf den Sammler einen heitern Blick zu werfen und ihn vor allem zu neuem Hervortreten durch Stoff zu erfreuen, ihm die Märchen ihrer Umgebungen zu senden, die immer mehr und mehr jetzt in dem Strudel der Zeit verschwinden. Auch mögen sie mit nicht gar zu bösen Blicken dieses Vorwort betrachten, das eben so anspruchslos, wie die folgenden Märchen, gemeint ist. So werden wir eine lustige Gesellschaft bilden, wie sie einst die alte Zeit, zur Erzählung der Märchen, sah, und der, der eine Sage in der wahrhaft richtigen Bearbeitungsart dem Erzähler einst einmal wieder gibt, wird ihm eben so lieb sein, als der Freund, der ihm eine neue bringt, und dieser Freunde wünscht er sich recht viele.

Breslau, den 23. November 1811

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