Vorwort: Volkssagen, Märchen und Legenden (1811)

Johann Gustav Büsching (in: Volkssagen, Märchen und Legenden)

Der Tod meines Vaters brachte mir ein anderes Sein. Zwar blieb ich in meiner Vaterstadt, aber meine Mutter bezog eine weit entfernte Gegend der Stadt, meine Freunde und Gespielen blieben zurück, nur mein liebes stilles Volk begleitete mich und ward desto inniger von mir umfangen. Je mehr ich heranwuchs, je mehr Wahrheit bekamen die Gestalten und wurden äußerlich; ich fing immer mehr an zu glauben: es gäbe wirklich so ein Volk. Gulliver’s Reisen fielen mir in die Hände, ich las einiges darin, das Zwergenvolk, wie es mir meine Phantasie gab, war darin beschrieben, es waltete kein Zweifel mehr ob, es gab solche Männlein und nun fehlte nur die Kunst, – sie zu entdecken.

Dass mein Völkchen Häuser baute, Gerätschaften und Tiere hatte, so zierlich und nett und klein wie sie selbst, das war keiner Frage unterworfen. Besonders dachte ich sie mir gar stattlich und freudig auf ihren kleinen Rossen und noch kann ich aus Goethe’s Romanze die Verse nicht hören:

Es kommen drei Reiter, sie reiten hervor
Die unter dem Bette gehalten,

ohne dass auch meine ganze Jugendreiterschar wieder beweglich wird und sich im Galopp daran schließt, in zierlichen Kreisen die Pferdlein taumelnd. Dass sie im freien Felde nahe an der Straße wohnen würden, glaubte ich nicht; ein Wald musste sie beherbergen. Sparsam die umliegende Gegend besuchend, gemeinhin, wenn wenig andere dort waren, erhielt selbst die Umgebung von Berlin mir ein fremdartiges, einsameres Ansehen, das ich durch Bilder dichter, schauerlicher, alter Wälder, von denen ich las und hörte, vergrößerte.

Gar furchtsamlich erschien mir daher ein sehr lichtes Gehölz, das der Gegend, wo ich jetzt wohnte, nahe lag und das ich manchmal vom Tore aus sah. Bald glaubte ich, dort wohne mein kleines Volk, und wünschte nun nichts sehnlicheres, als einmal hinausgehen und suchen zu können. Ich dachte es mir gar zu süß, wenn ich mir so ein paar kleine Freunde mitnehmen könnte, die dann in meinem Zimmer wohnen sollten und mich durch ihre artigen Gebärden und Sprache, denn Deutsch sprachen sie wie ich, zu erfreuen sich bemühten.

Endlich kam ich einmal hinaus. Ich suchte und suchte verstohlen, so viel ich konnte, und fand, wie natürlich, nichts. Aber eine düsterere Spitze des Gebüsches, wohin ich nicht kam, zog mich an sich und schien mir Gewährung zuzuwinken. Späterhin kam ich auch dorthin, wieder nichts. Nun glaubte ich sie mir nicht mehr so nahe, ich setzte sie ferner; der mir ganz unbekannte Grunewald trat an die Stelle der nur zu bekannt gewordenen Hasenheide und mein Glaube war nicht gestört, nur stand alles weiter vor mir und ich verzweifelte für jetzt, die niedlichen Männlein zu sehen, zu sprechen, mich ihrer Gesellschaft zu erfreuen.

Weit in mein Knabenalter nahm ich diese Phantasien mit hinein und nur langsam verflogen sie bei anderen Geschäften. Schon beinahe in das Jünglingsalter getreten, nahm mein Geist eine ganz eigene Richtung und die alten  Bilder traten wieder hervor. Die Liebe zum Mittelalter, zur Deutschen Vorzeit, erwachte, auf der Schule noch, in mir, auf eine eigene Art, deren Erzählung, so wie ihre Ausbildung, nicht hierher gehört. Im Widerstreit, der sogar zuletzt offenbar ward, von allen, die mich umgaben, mehr oder minder selbst verhöhnt, denn keiner wusste, was ich suchte und fand, bildete sich diese Liebe fort, und da ich mancher anderen Arbeit ein Stündchen abstahl, litten diese wohl, wie nicht zu leugnen, aber ich tröstete mich schon damals mit dem Spruche: man könne nicht Alles sein, wenn man nur Eins recht zu sein sich bemühte, man möchte nun das Ziel erreichen oder nicht. Auf den ernstlichen und guten Willen hielt ich gar viel.

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