Vorwort: Volkssagen, Märchen und Legenden (1811)

Johann Gustav Büsching (in: Volkssagen, Märchen und Legenden)

Sagen und Märchen werden gemeiniglich in früher Jugend den Kindern vorgeführt, es ist gleichsam eine süßere und mildere Speise, die man ihnen einflößt, da sie die härtere und rauhere, welche das wirkliche Leben und seine Geschichte uns gibt, nicht ertragen können. Ein rosenroter Morgenhimmel geht dem Kinde auf, es lebt in einer Welt unschuldiger Träume, und es wird wohl nicht leicht einer von uns so unglücklich gewesen sein, daß ihm diese Freude der Kindheit ganz entgangen ist.

Späterhin kehren wir stets mit Lust und Liebe wieder dahin zurück, und das Erzählen der Märchen den Kindern, die nun auf unsere Stimme lauschen, wie wir einst auf die Töne der Erzähler, ist nicht bloß Wohlgefallen, die Kinder zu erfreuen, (da lassen wir uns oft manche Fehler zu Schulden kommen), sondern die ewig rege und unwandelbare Liebe am Märchen selbst, die in uns wohnt und der wir Freiheit geben.

Es sei mir erlaubt, zum Eingange dieses Buches zu erzählen, wie die Märchen und Sagen in mein Leben eintraten. Mancher wird glauben, ich wiederhohle das, was in seinem Innern vorging; denn die ersten Empfindungen der Kinder sind sehr gleichmäßig und einfach, es herrscht ein allgemeiner Grundakkord, aus dem sich die andern erst entwickeln. Diesen Bildungsverwandten ist das Büchlein besonders gewidmet, so wie allen geliebten Personen und lieben Freunden, die meinem Treiben nicht abhold sind.

Andern, die einen verschiedenen Weg gingen, mögen diese Erzählung als ein Märchen betrachten, das ich zum Eingange ihnen darbiete; denn es mag auch wohl ein halbes Märchen sein, da der kindischen Tage duftige Nebelzeit mir wieder klar werden muß. Sie mögen die kleinen Gestalten, die durch meine Phantasie zogen und sie belebten, als das stille Volk betrachten, das einst die einsamen Vesten Deutschlands durchwandelten, und Freude mir, wenn diese Gebilde ihnen nicht ganz unlieblich erscheinen.

Wie die Lust an Märchen sich in mir entwickelte,
oder die Geschichte der Entstehung dieses Büchleins.

Meinen Eltern geboren, um sie einigermaßen über den Tod eines innigst und höchst geliebten Töchterleins, der wenige Zeit nach meiner Geburt erfolgte, zu trösten, mit der ich zugleich alle jüngeren Geschwister verlor, gingen meine ersten Entwicklungsjahre einsam hin. Das Kind fühlt dies noch nicht, die nährende Amme, die mit ihm tändelnden und scherzenden Eltern sind ihm genug. Aber schon um mein drittes Jahr erinnere ich mich einer großen Sehnsucht nach einem Gefährten und Gespielen, und wohl weiß ich noch die Freude, die ich hatte, als mir ein Brüderlein geboren ward.

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