Vorwort: Revolution von Erich Mühsam (1925)

Erich Mühsam (in: Revolution. Liederbuch von 1925)

Seit meiner Entlassung aus der bayerischen Festungshaft (20. Dez. 1924) ist mehrfach die Anregung an mich herangetreten, durch Herausgabe meiner singbaren revolutionären Gedichte dem Bedürfnis des kämpferischen deutschen Proletariats nach Liedern für den Marsch, für proletarische Feiern und für geselliges Beisammensein Nahrung zuzuführen. Daß dieses Bedürfnis jetzt unzweifelhaft in stärkerem Maße empfunden wird als je zuvor in den langen Jahrzehnten der vorrevolutionären deutschen Arbeiterbewegung, beurteile ich als ein erfreuliches Zeichen der Belebung des revolutionären Temperaments.

In der Revolutionszeit hat es in fast verhängnisvollem Maße an volkstümlichen Kampfliedern gefehlt. Man hörte nur die alte abgedroschene, der Situation in keiner Weise entsprechende sozialdemokratische Arbeitermarseillaise und höchstens hie und da einmal das schöne Arbeiterlied von John Most »Wer schafft das Gold zu Tage?« Die Internationale war bis zum Frühjahr 1919 fast nur in den dem Spartakusbund nahestehenden Jugendverbänden bekannt. Spottlieder, wie sie in der Revolution 1848 massenhaft entstanden und der Wut des Volkes gegen seine Bedrücker charakteristischen Ausdruck gaben, fehlten vollständig.

Die patriotischen und nationalistischen Kriegsanstifter haben es immer gewußt, daß Musik und Gesang das wirksamste Stimulans zur Lebendighaltung von Entschlossenheit und Kampfgeist ist. Was die wenigen revolutionären deutschen Dichter in Friedenszeit, während des Krieges, in und nach der Revolution an Kampf- und Marschliedern geschrieben haben, entsprach zum allergeringsten Teil dem Geschmack und der Denkart der kampffrohen Massen. Die Lieder, die sich in den letzten Jahren besonders bei der revolutionären Jugend einführen konnten, sind zu ihrem besten Teil naiv und volksliedhaft aus Arbeiterkreisen selbst herausgewachsen. In welcher Weise das geschieht, konnte ich an einem Beispiel aus meiner eignen Produktion deutlich beobachten.

Die jugendlichen Kameraden vom roten Frontkämpferbund in Berlin singen auf ihren Märschen ein Lied, das ähnlich wie jener geschmacklose Kriegsgesang, der uns 1914 mit seinem »Gloria Victoria« die Ohren vollgellte, ein Konglomerat von allen möglichen bekannteren oder unbekannteren Liederfetzen darstellt. Einer dieser Fetzen ist wörtlich meinem Max Holz-Lied entnommen, wird aber nach einer ganz anderen Melodie gesungen und steht in ganz anderm Zusammenhang als meine Vorlage. Ich fühle mich durch die Benutzung meines Textes nicht etwa bestohlen oder geschädigt, sondern im Gegenteil geehrt und in meiner Absicht bestätigt, dem Gefühl des revolutionären Proletariats entsprechende Empfindungen ausgedrückt zu haben.

Die vorliegende Sammlung enthält das Max Hölz-Lied in seiner ursprünglichen Fassung; es soll mir aber recht sein, wenn dieser und jeder andere Text des Bändchens von den Arbeitern so benutzt wird, wie es ihrem Geschmack und ihrem Temperament gefällt. Die Mehrzahl der hier gebotenen Kampf- und Spottlieder verdankten ihre Entstehung den fünf Jahren und acht Monaten, die mich die bayrische Reaktion in ihren Justizfängen hielt. Während der ganzen Zeit meiner Gefangenschaft haben mir meine Genossen von der Union Kommunistischer Anarchisten Deutschlands das Leben dadurch ganz wesentlich erleichtert, daß sie mir über allen Druck und Bruch der Zeit hinweg allmonatlich ein Taschengeld zuwiesen, mit dem ich meine kleinen Bedürfnisse an Briefporto, Schreibmaterial usw. dauernd befriedigen konnte.

Ich kann meinen Dank für diese Solidarität nicht anders zum Ausdruck bringen, als daß ich jetzt, wo mich die goldene Sonne der deutschen Barmatfreiheit wieder bescheint, einen Teil meiner Arbeit den anarchistischen Genossen zu Gute kommen lasse, die weiterhin in Zuchthäusern und Gefängnissen die Segnungen der deutschen Republik auskosten müssen. Ich stelle deswegen den vollen Überschuß dieser Lieder-Sammlung zur Verfügung des Inhaftiertenfonds der Union Kommunistischer Anarchisten Deutschlands. Mich leitet dabei die Überzeugung, daß, ebenso wie ich in Vorträgen und sonstiger agitatorischer Tätigkeit bestrebt bin, allen proletarischen Revolutionären in den Kerkern ohne Unterschied der politischen Richtung und Organisation zu helfen, der Inhaftiertenfonds der Anarchisten, sofern seine Mittel es ihm erlauben, seine Unterstützung den Inhaftierten jeder revolutionären Bewegung und ihren Angehörigen zu Teil werden lassen wird.

Die Widmung an der Spitze des Bändchens soll die Solidarität mit allen eingekerkerten Genossen symbolisieren. Der Name Max Hölz, des tapferen Revolutionärs, den die neudeutsche Bourgeoisie für das ganze Leben im Zuchthaus festhalten möchte, umschließt die Namen aller seiner zeitlich verurteilten Leidensgenossen, Der Gruß an Max Hölz ist zugleich ein Gruß an Alois Lindner, Karl Plättner und an die 7000 Namenlosen, die unsre bis jetzt noch niedergeschlagene Revolution hinter Käfiggittern büßen müssen. Auf — die Zuchthäuser! Das sei die erste Pflicht des gemeinsamen Kampfes aller revolutionären Proletarier. Zum größeren und letzten Kampf sollen uns Max Hölz und die politischen Gefangenen begleiten. In den Kampf aber wollen wir mit Gesang marschieren.

Charlottenburg im April 1925
Erich Mühsam

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