Vorwort zur 1. Auflage: Liederbuch des Deutschen Volkes

Carl Hase (in: Liederbuch des Deutschen Volkes (1843))

Durch die Abteilung nach dem Inhalte wird der Reichtum des deutschen Gesanges erst recht anschaulich, aber es konnte nicht anders kommen, als dass von manchem Liede zweifelhaft blieb, ob es zum Weine zum Wandern oder zur Liebe zu den Vaterlandsliedern oder zu den Studentenliedern gehöre, denn Lieder werden nicht zunächst nach den Regeln der Logik gedichtet. Besonders die Jugend auf den Universitäten hat einen guten Teil des Volksgesanges frisch erhalten und fortgepflanzt.

Unser dritter Abschnitt enthält als Studentenlieder nur solche, die das Studentenleben zum Gegenstande haben und aus demselben wie das eigentliche Volkslied aus dem Volke hervorgegangen sind, während die anderen Lieder die auf Universitäten heimisch geworden und in die Sammlungen dieses Behufs übergangen sind, sich unter den besonderen, ihnen zukommenden Abschnitten finden. Aber unter den Liedern jener lateinisch deutschen Jugend mussten einige altväterliche ganz oder halb lateinische Lieder ihren Platz behaupten.

Auch durfte man hier manches dulden, was nicht durchaus loyal oder legal, aber doch irgend einmal gewesen ist und ein billiges Recht hat, in seinen Liedern fortzuleben. Wiefern besondere Verhältnisse und Stände ihre Lieder haben, ist unsere Sammlung weit lückenhafter als z B das Mildheimische Liederbuch, welches Lieder enthält für Schuster, Seiler, Töpfer, Hutmacher, Buchbinder und Schönfärber, über das Gedächtnis und Erinnerungsvermögen, ein Danklied für die fortschreitende Aufklärung, und ein Warnungslied vor dem Lotto.

Obwohl das genannte Liederbuch seiner Zeit gerecht war und dem gemeinen Manne ein Haussegen geworden ist, so konnten doch dergleichen Lieder, die bloß gemacht sind, um eine Lücke auszufüllen, die dazu dem echten Volksgesange ganz fern stehen und nichts als eine gereimte Beschreibung oder Moral enthalten, nicht in unserem Plane liegen, sondern nur diejenigen, in denen wirklich Poesie und Musik durchklingt.

Wer Volkslieder haben will, kann die Tatsache, dass es zwei Geschlechter gibt, nicht ignorieren. Für Kinder ist dieses Buch ohnedem nicht bestimmt, obwohl es mit Kinderliedern beginnt, aber nur inwiefern auch diese Stimme des Liedes zu den Grundtönen des Volksgesanges gehört, sie selbst, die Kinder sollen ihre Lieder gar nicht aus Büchern lernen, sondern durch lebendige Vermittelung. In den Scherz und Schelmenliedern hat meist der Volksgeist selbst im frohen Übermute nichts verschont. Es gehört Verstand und Gutmütigkeit dazu, Scherz zu verstehen. Die Schwaben bewähren sich auch darin als einer unserer geistvollsten und herzigsten Volksstämme, dass fast alle Spottgeschichten auf sie von ihnen selbst aufgebracht oder doch unter ihnen selbst am meisten im Schwunge sind.

Das Kirchenlied als der andere, höhere Teil des deutschen Volksgesanges, ist von unserer Sammlung ausgeschlossen. Zwar macht den Beschluss ein Anhang von geistlichen Liedern, unter denen einige Kirchenlieder vorkommen, aber nur wiefern sie auch eine weltliche Seite haben und nach altväterlicher Weise auch bei hohen weltlichen Festen gesungen werden, bezeichnen sie den Übergang zum Gesangbuch der Kirche.

Denn nur ein weltliches Gesangbuch des deutschen Volkes sollte hier gegeben werden, als ursprünglich gedichtet vom Volksgeiste selbst, der sein tiefstes Freud und Leid, sein Lieben und Hassen, feine Weisheit und frohe Torheit, in tausend Liedern der Natur und Kunstpoesie ausgesprochen hat, um in diesem Spiegel und Wiederhalle sich selbst zu begrüßen und seines reichen Lebens froh zu werden. (1843)

Vorrede zur neuen Auflage

Als mir angezeigt wurde, dass wieder einige tausend Exemplare dieses Liederbuchs gedruckt werden sollten, bedachte ich, dass dasselbe viele Jahre naturwüchsig fortbestanden habe, ohne irgend eine Durchsicht oder Vermehrung, während das deutsche Volk selbst nicht aufgehört hat zu singen und zu dichten. Aber der Freundeskreis von dem diese Liedersammlung ausgeht, ist längst zerstoben, ich selbst bin dem Gegenstande, sei’s auch eine Jugendliebe, fremd geworden, dem Dichter gehört er zunächst an. Ich habe mich daher an meinen Freund Felix Dahn gewandt und er hat die Freundlichkeit gehabt, die neue Redaktion zu übernehmen, was hinzugekommen stammt aus seinem Reichtum, was ausgeschieden, ist durch sein Urteil geschehen.

Der Charakter der Sammlung ist doch unverändert geblieben, so dass die Vorrede, welche ich 1843 geschrieben habe, unverändert wieder abgedruckt werden konnte. Da Dahn seinen edlen Namen hinzugetan hat, habe auch ich den meinen nicht länger verschweigen wollen. Einen dritten Genossen hat unser Verlagsfreund gewonnen für das Musikalische, Herrn Kapellmeister C. Reinecke, den Dirigenten der Leipziger Gewandhaus-Konzerte.

Jena, im November 1883

Dr Carl Hase

 

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