Vorwort: Kinderlieder der deutschen Schweiz

Gertrud Züricher (in: Kinderlieder der deutschen Schweiz, 19126)

Eine weitere Schwierigkeit bot die Abgrenzung innerhalb der einzelnen Verslein. Was ist wichtig genug, als eigener Text in der Sammlung zu stehen und was kann ruhig bei den Lesarien unter-gebracht werden? Die Lesarten gehen oft so unmerklich ineinander über, dass eine Grenze oft fast nicht zu ziehen ist. Früher wies ich viel mehr Material den Lesarten zu, aber in allem Ausarbeiten merkte ich, dass die Übersichtlichkeit so gestört wurde und dass auch die verschiedenen Dialekte viel zu wenig zu ihrem Rechte kamen. Viele charakteristische, originelle Wendungen wären unbeachtet untergegangen, denn Lesarten und Anmerkungen lesen gewöhnlich doch nur die Fachleute. Da in den Lesarten nur andere Ausdrücke, nicht aber dialektische Abweichungen notiert werden, wäre eine Variante oft schwer zu rekonstruieren; auch gäbe es zu einem Text zu viele Varianten, so dass das Heraussuchen der Einzelnen fast unmöglich würde. So änderte ich vieles in der ur-sprünglichen Anordnung und Abgrenzung und nahm mehr in die Texte auf. Dabei liessen sich natürlich Wiederholungen ähnlich lautender Texte nicht vermeiden, aber die Sammlung gewann dadurch sehr an Übersichtlichkeit und charakteristischem Gepräge, ohne viel mehr Platz zu beanspruchen.

Im allgemeinen wurden die besterhaltenen und charakteristischsten Lesarten als Grundtexte herausgesucht, daneben auch etwa solche Varianten, die in ganzen Partien von der üblichen Grundform abwichen, so dass sie nicht gut in den Lesarten untergebracht werden konnten. Sind doch viele Verslein mit der Zeit sehr zersungen worden oder mit ändern Verslein zusammengewachsen, die ursprünglich nicht dazu gehörten. Die Lesarten wurden gewöhnlich zeilenweise mit dem Grundtext verglichen und die abweichenden Formen zusammengestellt. Auf weitere Untersuchungen, wie sie ursprünglich geplant waren und wie ich sie im „Riti Rössli“ durchgeführt habe, musste ich aus Mangel an Zeit verzichten.

Sehr viele Verslein passen nicht ohne weiteres in irgend eine Gruppe hinein oder liessen sich mit gleichem Recht in drei oder vier Gruppen unterbringen (z. B. „a, b, c, d, ´Chatz lauft übere Schnee etc könnte ebenso gut bei den Schulverschen, den Tierverschen wie bei den Abzählreimen stehen). Solche Verse stehen auch in den verschiedenen Sammlungen nicht immer in der gleichen Gruppe. Oder eine Lesart gehört unstreitig in eine Gruppe, eine andere, wenig aber in einer Hauptsache abweichende Variante bestimmt nicht Es liess sich dabei nicht vermeiden, dass dabei oft Verwandtes auseinander gerissen werden musste, damit es zu anders Verwandtem passe; auch da musste ich die Entscheidung meinem persönlichen Gefühl überlassen. Um diesem Mangel abzuhelfen, finden sich bei den Anmerkungen Verweise auf Reime, die verwandte Züge tragen.

Ich habe jedem Versiein den Ort der Herkunft beigefügt, soweit er zu ermitteln war. War mir dies nicht möglich, wie z. B. bei einer Reihe Verslein aus dem Material des Idiotikons oder aus Büchern, so setzte ich bloss „Schweiz“ dazu.

Ortsbezeichnungen

Die Ortsbezeichnungen hätten wohl grösseren Wert, wenn die Sammlung fünfzig Jahre früher durchgeführt worden wäre. Bei dem regen Eisenbahnverkehr der letzten fünfzig Jahre und den vielen dadurch bedingten Heiraten in andere Gegenden oder Kantone wanderten natürlich auch die Verslein stark; doch lassen sich immerhin noch gewisse Verslein oder Lesarten auf bestimmte Gegenden zurückführen. Dem Wandern ist es auch zuzuschreiben, wenn die Verse nicht immer genau den Dialekt des Ortes aufweisen, von dem sie eingeschickt wurden. Um nicht zu viel unnötigen Ballast mitzuschleppen, habe ich bei stark verbreiteten Verslein „vielfach“ oder „allgemein“ gesetzt, ohne alle einzelnen Ortsnamen aufzuzählen. Im ganzen kann wohl angenommen werden, dass, wenn ein Verslein aus zwei bis drei Orten belegt ist, es auch an ändern Orten der Gegend zu finden wäre und nur zufällig nicht öfter eingeschickt wurde.

Um irgendwelchen Missdeutungen zu begegnen, betone ich, dass also die untergesetzten Herkunftsbezeichnungen nicht von vornherein auf die Mundart des betreffenden Ortes schliessen lassen, sondern nur den Wohnort des Einsenders angeben. Da, wo mehrere Orte genannt sind, wird der Text im allgemeinen die Mundart des erstgenannten wiedergeben.

Die abweichenden Lesarten habe ich der Übersichtlichkeit halber hinten im Buch zusammengestellt; kleine mundartliche Abweichungen sind nicht berücksichtigt, falls sie nicht eine besondere Klangfarbe des Reims oder eine ungewohnte Form aufweisen. Hochdeutsche Varianten sind meist unberücksichtigt geblieben. Nach der Zusammenstellung der Lesarten finden sich die Hinweise auf verwandte Verse der Sammlung, dann auf ausserschweizerische ähnliche Sammlungen, die meist stark abweichende Texte aufweisen und oft bloss verwandte Züge tragen. Wo nichts anderes bemerkt ist, handelt es sich bei diesen Hinweisen um Nummern, nicht um Seiten.

Dabei kamen in erster Linie die Hinweise auf die grosse Sammlung von Franz Magnus Böhme in Betracht, aber auch die übrigen deutschen und österreichischen Sammlungen, die mir zugänglich waren, habe ich nach verwandtem Material durchsucht. Auf Bücher in anderen Sprachen habe ich nur in einer kleinen Auswahl hingewiesen, da es ja dort fast nur die Spiele sind, die verwandte Züge tragen. In dieser Sammlung kommen zum Vergleich mit andersprachlichen Sammlungen eigentlich auch nur Fingerspiele, Tanzverschen, Anzählreime und Verwandtes in Betracht.

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