Vorwort: Allgemeines Deutsches Kommersbuch 100. Auflage

Prof. Dr. Eduard Heyck (in: Allgemeines Deutsches Kommersbuch)

In den Zuschriften, die wir als einen lebendigen Selbstregistrierapparat des hinausgesandten Buches mit an sich iiberwiegendem Vergnügen schätzen, wiederholen sich einige Ansichten oder Wunsche so oft, daß es sich nicht länger vermeiden läßt, darüber einmal an dieser Stelle das Dringlichste zu sagen. Wir dürfen die Texte nicht nach dem Gusto der Briefschreiber überglätten, auch wenn diese überzeugt sind, daß sie dadurch verständlicher und besser werden oder wenn zu solcher Herstellung eines glatteren Sinnes bezw. Unsinns leider selbst recht viele
Komponisten neigen. Nicht immer wünscht der Dichter genau dasselbe zu meinen, was sozusagen jedem auf der Zunge liegt. Auch haben einige von ihnen sich die Freiheit genommen, schon zu leben, ehe der ordnungsliebende Staat unsere Schulen und Druckereien an eine versteifte Sprachregulierung gewöhnt hat, womit er der unendlichen Feinfühligkeit, Formenbeweglichkeit und rhythmischen Schönheit der lebendig freiwüchsigen Sprache beträchtlich den Garaus gemacht hat. Gegen eine Anzahl von Vorwürfen läßt sich gar nichts machen, als daß wir sie uns einrahmen lassen.

Der Fernerstehende würde es leicht nicht glauben, welche Danaidenschalen grammatikalischer Entrüstung sich allein nur wegen des Goetheschen „Röslein wehrte sich und stach, half ihr doch kein Weh und Ach“ über unser Haupt ergießen. Und so ist es auch sonst die Art der Poesie, daß sie mit ihren Elfenfüßen nicht am liebsten die gar so musterhaft chaussierten Wege geht; das Volkslied mit seinen süßen dunklen Heimlichkeiten, seinen vermeinten Widersprüchen und Sorglosigkeiten, die so viele Vorschläge veranlassen, wie sie korrigiert werden könnten, ist der zauberkräftigste Beweis dafür.

Gilt es also in dubio: das Wort sie sollen lassen stahu, so hat andererseits bei der Textformierung eines für die Geselligkeit bestimmten Liederbuches der Respekt vor dem, was einmal gestanden hat, auch wieder seine vernünftigen Grenzen. Aus der prinzipiellen Bemühung um das Authentische, die man dem wissenschaftlichen Anfänger notwendigerweise einpaukt, unbedingt den jeweils ältesten oder selbst besseren Fassungen nachzujagen, das würde bedeuten, gar manches allgesungene Lied hinfort zu einem anfremdelnden zu machen, das dann nicht mehr gesungen wird. Wir arbeiten hier doch nicht für die literarhistorische Bibliothek, wenn wir auch dankbare Fühlung mit ihr halten. Diese Dinge sind cum grano saljs abzuwägen, auch da nicht nach einem grundsätzlichen Schema, sondern nach dem Einzelfall. Der Rechtsanspruch der Urform soll so weit, wie richtig scheint, zur Geltung gelangen. Aber in vielen Fällen ist das Lied zu dem, was es ist, erst durch das geworden, was der Dichter selber wünschen könnte, gesagt, gekürzt, hinzugetan zu haben.

Unsere Nr. 561 ist das weitgehendste Muster hierfür, wobei sogar der glückliche Akzent des „Siebenbiirgischen“ erst von unbekannter Hand gegeben worden ist. Weder die Wacht am Rhein, noch das Goethesche „Ergo bibamus“ werden in der wirklichen Urform gesungen, und mit gutem Recht. Wieder ein anderer Fall: Etliche Texte lauten hier in Einzelworten oder Einzelstrophen authentischer und studentischer als in der Verfasser eigenen späteren Buchausgaben. Denn dem „Sacht stets, sacht und bedacht stets“ entgeht man niemals so leicht, wie man dachte,
ehe man Minister oder Langerichtsrat oder ein berühmter Dichter wurde.

Doch nun von diesen  Ausführungen genug, die in den künftigen Geleitworten gerne erspart werden möchten. Man muss den vorhandenen Gründen schon ein wenig vertrauen, wenn auch nicht jede Kleinigkeit vorbeugend kommentiert wird. Das Kommersbuch soll kein halbgelehrter Zwitter sein; die Freiheit des Liedes, die Stimmung, die es wecken will, soll man mit angeschwänzten Prosanotizen möglichst nicht bekümmern. Ganz sind sie ja nicht zu vermeiden. Auch die Hinweise auf Verlagsrechte nicht, die aus iibernommener Verpflichtung beruhen.

Und hiernach schließen wir auch diesmal, wie seit den letzten fünfzig Auflagen: so möchte das Lahrer Kommersbuch in dem Sinne, den es bisher bewahrt hat, fortfahren zu sein, was die ersten Herausgeber erhofften, ein Volksbuch und ein deutsches Buch. Möge es auch weiterhin helfen, den Geist, der über der studentischen Geselligkeit waltet,
vor banausischer Selbstgefälligkeit zu bewahren und umgekehrt den studentischen Sang, ein Stück akademischer Fröhlichkeit und Besonderheit überhaupt, als herzbefreiendes köstliches Gut in weite lebendige Schichten des Publikums zu tragen. Es möchte auch fernerhin eine vielseitig Illustration akademischen Geistes und Lebens darstellen, einen Jungbrunnen unverzagter und frischer Art, einen behaglichen und stimmungsvollen Begleiter durch die studentischen Jahre und ein Buch der Mitnahme fürs fernere Leben, in allem aber so gehalten, daß der alte Ernst Moritz Arndt, dessen ehrwürdigen Manen es gewidmet bleibt, auch weiter sich die Früchte ans der schönsten Wirkung des deutschen Liedes von ihm hätte erwarten dürfen.

Prof. Dr. Eduard Heyck

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