Vorwort: Alemannisches Kinderlied

Rochholz (in: Alemannisches Kinderlied (1857))

Seit einer Reihe von nun zwanzig Jahren hat mich ein Werk beschäftigt über Sage Sitte und Sprache derjenigen Landstriche der deutschen Schweiz, die eben so lange schon mein Aufenthalt sind. Es ist daraus eine Originalarbeit entstanden, welche mit geschichtlichem und sprachgeschichtlichem Sinne das in der Bevölkerung Vorgefundene zur Aufzeichnung brachte und den schon vorhandenen Gewinnsten deutscher Sprach und Sittenkunde nun auch das Familien und Volksleben der Alemannen am Oberrhein an Aare und Reuß ergänzend hinzufügt.

Einen Teil dieser Arbeiten bildet das hier vorliegende Alemannische Kinderlied und Kinderspiel. Seine Quelle aus der es hervorging, ist die angeborene Heimatsliebe, seine örtliche Heimat ist der Schweizer Jura, sein wissenschaftlicher Heimatsschein liegt mit in den Werken der deutschen Meister und Jünger. Aus reinen Kinderherzen entsprungen, von ausdauernder herzlicher Teilnahme gesammelt und als ein uraltes Erbstück unseres deutschen Privatlebens vom Herausgeber erläutert, soll nun dieses Buch wiederum zu Eltern und Kindern, zu guten Hausfrauen und zu den Weisen und Forschern im lieben Vaterlande zugleich gehen und dafür bekommt es hier noch etliche Gedenksätze mit auf den Weg, mit denen es sich selber und allen denen die ihm begegnen werden das Wanderziel verdeutlicht und verkürzt .

Wir die Bewunderer der Griechen sind darüber erfreut, daß sie es der Mühe wert hielten, neben ihren Reichtümern an aller Kunst und Poesie auch ihre Kinderliedchen aufzuzeichnen, ja unserer wissenschaftlichen Erkenntnislust fällt es sogar schwer, dass sie es nicht vollständiger getan oder daß die Ungunst der Zeiten uns solche Aufzeichnungen wieder entrissen hat. Aus einer Vergleichung des Athenäus und Pollur erkennen wir die allgemeine Verbreitung solcher volksthümlichen Poesie bei allen Klassen der hellenischen Bevölkerung und bei allen Beschäftigungen des täglichen Lebens.

Da gab es wie bei uns Ammen- und Wiegenlieder, Schaukellieder, Schwalben-, Krähen- und Käferlieder beim Frühlingsempfang, wenn die Kinder singend und Gaben heischend mit dem eingefangenen ersten Frühlingsvögelein von Türe zu Türe zogen, da gab es ferner Bettelbubenliedchen, Liedchen beim Ballspiel, Kreiselschlagen und beim Ringelreihen. Nur wenige Bruchstücke solcher Kinderreime sind auf uns gekommen und doch wie weit lassen schon diese jener langverschollenen Zeit noch ins Herz blicken, welch fröhlich gute Menschen, welche ebne unveränderlich treue Menschennatur, welch traulichen Kindersinn zeigen uns schon sie.

Wir sind ergötzt, daß es in einer Welt marmorner und elfenbeinener Statuen auch Platz gab für das Puppenbettchen und die Docke, daß unser Plumpsack, Fangemann und Daumennickelspiel, unsere Blindekuh und Huckepack nebst andern Dingen des Mutterwitzes schon galt, damals wo nur gigantische Götter im ehernen Himmel wohnten, wo nur Gesetzgeber Philosophen und Feldherren mit eherner Stirne eine beherrschte Erde zu bewohnen schienen.

Wie sollte nun eben dasjenige, was uns bei den entlegenen Griechen schon so reizend erscheint, nicht noch viel wärmer sich nachempfinden müssen, wenn es dem Altertum unseres eigenen Volkes angehört und zugleich in unsere Gegenwart herüber stille und heimlich sich gerettet hat. Es ist ein liebliches Bildchen, wenn der altdeutsche Dichter erzählt, wie die Kinder im Walde Erdbeeren pflücken und in selbstgeflochtenen Weidenkörbchen heimtragen. (Ruodlieb XIII, 85) Es entlockt uns ein Lächeln, in Glossen des neunten Jahrhunderts schon denselben Ausdruck zu lesen, mit dem wir das Schöntun und Schmeicheln unseres Kindes Aeli und Aieligeben nennen „Quiquiliae aehnian“; oder zu lesen wie damals schon die Kinder auf der Gasse dem ausrufenden Stadtknechte die Worte nachspotteten: „Taratantarisare bütteln, reden (Mone, Anzeiger 1838, 134, 154) Eine der frühesten naturwissenschaftlichen Schriften unserer einheimischen Literatur, das Buch der Natur vom Meister Konrad von Megenberg, kann den Birkenbaum nicht nennen, ohne den Brauch unserer Kinder, die ihn im Frühjahr anzapfen: „So flüßt gar vil saft darüß und trinkent es die klainen kint üff dem göw, wan es ist süße und stinkt nichts“.

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