Vorrede zu „Siebenbürgisch-Sächsische Volkslieder“

Friedrich-Wilhelm Schuster (in: Siebenbürgisch-Sächsische Volkslieder)

Nur wenig Worte sind es , die mir in dieser Vorrede zu sagen übrig bleiben, nachdem ,was zur Beleuchtung und Erläuterung des Textes und zur Erkenntnis der Tendenz meiner Arbeit dienen soll , seinen Platz in den Anmerkungen und in den Abhandlungen gefunden hat . Dass diese auch lesen wird , wer sich berufen fühlt , ein Urteil über das Buch abzugeben , darf ich billig erwarten .

Seit mehr als sechzehn Jahren sammle ich an dem, was nun hier doch nur in bescheidener Ausdehnung vorliegt. Wäre ich allseitiger unterstützt worden , die Sammlung könnte zwar stärker sein , aber , so wie ich nun das Terrain kenne , kaum um ein Bedeutendes ; nur die Gattungen der Segen – und Zauberformeln und etwa der Rätsel dürften vielleicht reichere Vermehrungen von der Zukunft erwarten ; neue Gattungen werden kaum mehr , auftauchen . Als ich den Plan zu der Sammlung zuerst fasste , hoffte ich nur auf noch geringeren Fund ; Sagen , Märchen und Volkslieder glaubte ich im Raume eines Bandes umfassen zu können . Bald ward ich gewahr , dass noch nicht so Vieles verloren sei , als ich gewähnt hatte , und dass gesondert werden müsse . Gleichstrebende Freunde nahmen mir einen Teil der Arbeit ab , zum großen Vorteil der Sache , der ich in solchem Umfange nicht einmal völlig gewachsen sein konnte . Wir teilten uns in die Aufgabe in der Weise, wie es die Vorrede zu Haltrich ‚ s Märchen bekennt .

Jeder der Freunde hat seitdem der übernommenen Pflicht genügt ; Müller ‚ s Sagen und Haltrich ‚ s Märchen sind seit Jahren in den Händen des Publikums ; mich drückte das Bewußtsein , noch in der Schuld zu sein , und fing bereits ‚ an mir die Arbeit zu verleiden . Indessen hat ihr die lange Zögerung schwerlich geschadet ; ich bin kühler , meine Pläne sind enger geworden , und Manches ist dadurch besonders von den Abhandlungen weggeblieben , was ohnehin nicht strenge hingehörte , und zu anderer Zeit an einem andern Orte mit mehr Berechtigung und in größerer Breite ausgeführt werden mag .

Auch so werden diese Abhandlungen noch manchen Widerspruch finden , und namentlich dürfte die zweite angefochten werden . Für wen es keine geschichtliche Erkenntnis gibt , als die aus Urkunden und speziell Schriftlichem geschöpft wird , der wird von vornherein leugnen , dass sich irgendwie historische Betrachtungen über die in meiner Sammlung enthaltenen sächsischen Volksdichtungen anstellen lassen ; er wird nicht mehr zugeben , als dass etwa jene Zauberformeln und Segen , die Teutsch aus Kirchenvisitationen entnommen , jedenfalls vor 1650 , Nro . 181 desselben vierten Buchs vor 1749 , das Zaidner Lied von Rakozi vor 1747 und der Bienensegen im vierten Buch wohl nicht nach dem 16 . Jahrhundert entstanden sein müsse , oder dass Türken und Tartaren nicht vor der großen Türkennot in unsere Kinderlieder gekommen , das Sprichwort „wat frôcht der wûlf nô de statuten“ nicht vor Abfassung der Statuten erfunden sein könne u . s . w .

Ich darf indessen versichern , dass die Ansichten , welche jene Abhandlung enthält , nicht willkürliche Phantasien , noch vorgefasste Meinungen und über Nacht gekommene Gedanken sind , vielmehr in langjähriger Beschäftigung mit Volksdichtungen durch vielfaches Vergleichen und Erwägen sich allmählich gebildet haben , und in nicht wenig Stücken im Widerspruch stehen mit früher gehegtem , liebgewordenem Wahne . Manche meiner Behauptungen ist so wenig bloße Wahrscheinlichkeit , dass sie sich bei einer bis in ‚ s Kleinste gehenden Behandlung auch dem Unkundigsten anschaulich genug beweisen ließe . Wahre Kenner – , davon bin ich überzeugt – werden in den meisten Stücken mit mir über einstimmen . Die werden , auch ohne dass ich ‚ s hervor hebe , sehen , worauf es ankommt , und Hauptsachen von Nebendingen zu unterscheiden wissen . Ich kann mich z . B , über das Alter einzelner Stücke ( das doch größtenteils nur in Form der Hypothese angeführt ist ) geirrt , es überschätzt oder unterschätzt haben ; dadurch wird mein Raisonnement im Großen nicht umgestoßen .

Ob der Aufnahme so manches Bruchstücks und mancher oft nur scheinbaren Unbedeutendheit in die Sammlung werde ich ‚ wohl eher Dank als Tadel verdient haben ; wir sind nicht so reich an Ganzem um Bruchstücke verschmähen zu dürfen , die überdies oft gerade die schönsten und alt ehrwürdigsten Perlen enthielten . Vieles ist übrigens nur da , um ein möglichst vollständiges Bild unserer Volksdichtung zu liefern , die nun bis auf die dramatischen und mimischen Spiele , Tänze und Mummereien , welche eine eigene Bearbeitung erfordern , in den Händen des Publikums ist . Das Bedeutungslose konnte ich , wo es auch nur zur Erläuterung des Bedeutendern diente , nicht liegen lassen . Außerdem sind nur solche Bruchstücke aufgenommen , die wert schienen zu weiterer Nachforschung anzureizen . Was noch sonst zu ihrer Aufnahme bestimmte , ist in den Anmerkungen und Abhandlungen angedeutet .

Mit der Anordnung des Ganzen wird man , hoffe ich , zufrieden sein . Sie ist durchsichtig genug und geeignet sich selbst zu erklären .

Dass ich es verschmäht habe, Worterklärungen in die Anmerkungen aufzunehmen , wie es Joh . Karl Schuller bei seinen Ausgaben zu tun liebt , werden Manche vielleicht bedauern . Aber das endliche Erscheinen eines siebenbürgisch-sächsischen Idiotikons wird ja immer sicherer und in dessen Spalten gehören Worterklärungen . Über meine Lau zeichen im sächsischen Text ist das Notwendigste in der ersten Abhandlung gesagt , weitere Erläuterungen sind überflüssig . Fachmänner und wissenschaftlich Gebildete unter meinen Lesern werden die Grundsätze , nach welchen ich vorgehe , bald und leicht erfassen , und über die Bedeutung der von mir gebrauchten Zeichen kaum im Zweifel bleiben ; die Andern gehören wohl meistens zu meinen Stammgenossen , und diese werden ihr Idiom auch in meiner Orthographie nicht verkennen .

Dass ich es übrigens selbst mitstrebenden Genossen und Freunden nicht in Allem recht gemacht haben werde , kann ich wohl voraussehen ; hätte ich doch auch in ihren Arbeiten hie und da Etwas anders gewünscht . Da weiß ich nun keinen andern Rat, als abzuwarten , bis entweder ich ihrer oder sie meiner Meinung geworden . Es liegt mir wie ihnen zu viel an der Wahrheit , als dass wir nicht überzeugenden Gründen gegenüber uns freudig von einem gehegten Wahne lossagen sollten . Manches möchte ich selbst schon jetzt ändern , namentlich in den Abhandlungen klarer und breiter ausführen , dass fast alle Gattungen unserer Volksdichtung als solche bis in die Karolingerzeit und oft noch viel weiter zurückreichen . Vielleicht kann ich mich einmal an anderm Orte mit ganzem Behagen in diesem Stoff auslegen .

Noch bedarf das reiche Druckfehlerverzeichnis einer Entschuldigung . Mein oder des Verlegers Sündenregister darin zu sehen , wäre unbillig . Die Ursachen waren fast unabwendbar und lagen in den leidigen Verhältnissen ; in der 200 Meilen weiten Entfernung zwischen dem Druckort und mir , der ich nur die letzte Korrektur besorgen konnte , in der Unbekanntschaft der Setzer mit dem siebenbürgisch-sächsischen Dialekt . Das ließ sich nicht ändern . Die Wahl des Druckortes war ‚ einmal vollzogen , und bot neben manchen von dem Verleger nicht vorausgesehenen Schwierigkeiten auch unleugbare Vorteile , die Unkunde der Setzer war nicht wegzuzaubern , und eine mehrmalige Correctur verbot die Rücksicht auf die großen Postauslagen und die Besorgniß vor allzulanger Verschleppung der Druckvollendung , die ohnehin lange genug auf sich hat warten lassen . :

Ich schließe den Geleitsbrief meines Buches , indem ich ihm den besten Empfang namentlich bei meinen Volksgenossen aller Stände wünsche – ich darf dies mit gutem Gewissen , da , was es enthält , nur zum geringsten Theil mein Werk ist . Auch dieser geringe Theil ist ja nur Beiwerk ; alles Übrige hab ich vom Volke genommen , und gebe es reinlich gesäubert und geordnet dem Volke wieder zurück .

Mühlbach , im Dezember 1864 .

Der Verfasser .

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