Von wem hatten die Kinder die Lieder gelernt
Nur in 11 Fällen hatten die Kinder von den Eltern Lieder gehört und gelernt und zwar
- 1 Kind vom Vater „Weißt du wieviel Sternlein stehen“.
- Von der Mutter hatten 7 Kinder folgende Schullieder gelernt: „Hänschen klein“ (2 Kinder), „O Tannenbaum“, „Kommt ein Vogel“, „Fuchs du hast die Gans gestohlen“, „Ihr Kinderlein kommet“, „Wer hat die schönsten Schäfchen“.
- Ferner hatten Kinder von ihrer Mutter gelehrt bekommen „Das Elterngrab“ und „Das Mutterherz“
- Ein Mädchen sang „Ein Walzer mit dir allein das muss doch wirklich reizend sein“ und „Ruck ruck ruck an meine grüne Seite“. Dazu tanzte die Kleine und schwang kokett ihr Röckchen. Die Mutter welche ihr das Lied gelehrt jetzt Schneiderin war früher Chansonettesängerin gewesen
- Einige Kinder hatten Lieder im Kindergottesdienste und dem Gottesdienste separierter Religionsgemeinschaften gelernt andere hatten in der Spielschule in der Kinderbewahranstalt und im Kindergarten Lieder gehört und gelernt.
- Für die meisten aber waren die älteren Geschwister oder die Gespielen die Lehrmeister gewesen. In einem Falle sang ein Mädchen zum Klavierspiel der größeren Schwester in einem andern Falle ein Knabe zum Violinspiel des größern Bruders.
Ein ernstes Zeitbild tritt uns insofern entgegen als nur 10 Mütter von 187 ein Lied mit ihrem Kinde gesungen haben. Nicht nur die Kraft des Mannes wird absorbiert durch die Pflichten des Berufs, sondern auch die Frau verzehrt sich außer ihren hauswirtschaftlichen Sorgen in der Lohnarbeit. Während einst Pestalozzi tief ergriffen von der hohen Reinheit, Stärke und Innigkeit der Mutterliebe ausrief: „Ich lege die Erziehung der Menschheit in die Hand der Mutter“, findet die Arbeiterfrau der Großstadt nicht die Stimmung dem Jüngsten das Schlafliedchen zu singen, das sich in seine Träume verwebt, nicht die Muße dem Größeren das liebliche Kinderliedchen vom „Reiterlein“, „Schäflein“ und „Kuckuck“ zu lehren, gar nicht zu denken des Morgens und Abendchorals, mit dem in früherer Zeit die ganze Familie dem lieben Gott sein Lob und Dankopfer darbrachte.
Welche dürftige Spuren ferner von etwas Hausmusik! Man halte sich dagegen das liebliche Bild von Rosenthal, welches uns in das Haus von Sebastian Bach hineinführt. Da sitzt Vater Bach spielend am Klavier, seine ganze Familie ist um ihn gruppiert, vor ihm sein ältester Sohn Wilhelm Friedemann, den Gesang mit der Violine begleitend, neben und hinter dem großen Tonmeister die andern Kinder, 4 Söhne und 3 Töchter nebst der Mutter, welche die äußere Ordnung aufrecht zu erhalten scheint, während der etwas zur Seite blickende Vater auf die Stimme eines Teils der kleinen Kinder horcht.
Ähnliche Bilder von Hausmusik boten die früheren Jahrhunderte gar häufig. Die älteren Geschwister und die Spielgefährten sind hauptsächlich diejenigen, von denen unsere Kleinen besonders auch das Singen lernen. Die älteren Geschwister stehen ihnen als Vorbilder und Spielgenossen helfend und fördernd zur Seite, bevormunden und leiten sie, ja vertreten die Mutterstelle bei ihnen.
Einen großenteils wenig günstigen Einfluß habe ich von Seiten der Schulkameraden auf die Kleinen bemerkt. Der eigentümliche Zauber der persönlichen Einwirkung findet in besonders hohem Grade bei der Jugend statt, die noch nicht in dem gefestigten Eigenwesen ein Hemmnis und Schutzmittel besitzt, wenn das Kind mit andern Kindern unsauberer Sinnesweise in Berührung kommt.
Dass nach dieser Seite die Ansteckungsgefahr größer ist als nach der guten, deutet schon das Sprichwort an, wenn es die schädliche Wirkung der bösen Beispiele hervorhebt und nicht der guten gedenkt. Alle die später aufgeführten Gassenlieder: „Wir sind die Sänger von Finsterwalde“ usw hatten die Neulinge von ihren Spielgenossen gehört und gelernt.
Volksmusik: Gesang in der Schule
Liederzeit: 1871-1918: Deutsches Kaiserreich