Was ist ein Volkslied

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 235-236.

Das Wiedererwachen des Interesses an dem V. steht mit der großen europäischen Literaturströmung des 18. Jahrh. in Zusammenhang, die in Deutschland in der Sturm- und Drangperiode ihren Ausdruck fand. Damals entstanden auch zuerst Sammlungen von Volksliedern, die nicht wie die frühern für den Gebrauch des singenden Volkes bestimmt waren, sondern zunächst das Interesse der Gebildeten am V. anregen und befördern sollten. Den Anfang machte Thomas Percy (s. d. 1) mit seiner Sammlung englischer und schottischer Volkslieder (1765). In Deutschland fand Herder in den Volksliedern eine Bestätigung seiner Ansicht von der Poesie als einer »Welt- und Völkergabe«; er pries das V. in den »Blättern von deutscher Art und Kunst« (1773) und regte andre, vor allen Goethe, zum Sammeln von Volksliedern an. Bürger in seinen Herzensergießungen über Volkspoesie (»Aus Daniel Wunderlichs Buch«, 1776) und andre stimmten in diesen Ton ein und erregten dadurch den Widerspruch der Gegner des Sturmes und Dranges, vor allem Nicolais (s. Nicolai 2), der in seinem »Kleynen feynen Almanach« (Berl. 1777 u. 1778; Neudruck, das. 1888) Volkslieder sammelte, die ihm geeignet schienen, die Begeisterung für das V. lächerlich zu machen, doch hat er, nach Lessings treffendem Ausdruck, »Volk und Pöbel« verwechselt.

Seine Sammlung muß indes als die erste neuere Sammlung deutscher Volkslieder bezeichnet werden; die von Herder gesammelten »Volkslieder« (Leipz. 1778–79, 2 Bde.; 1807 neu hrsg. u. d. T.: »Stimmen der Völker«) umfassen auch Lieder andrer Nationen. Die erste umfassendere Sammlung deutscher Volkslieder gaben die Romantiker Brentano und Arnim heraus u. d. T.: »Des Knaben Wunderhorn« (Heidelb. 1806 bis 1808, 3 Bde.; Weiteres s. Wunderhorn), freilich mit manchen eigenmächtigen Veränderungen. Vgl. Lohre, Von Percy zum Wunderhorn (Berl. 1902). Verdienstlich war auch Büschings und v. d. Hagens »Sammlung deutscher Volkslieder« (Berl. 1807, mit Melodien). Die reichhaltigste Sammlung ist die von ErkDeutscher Liederhort«, Berl. 1855; neubearbeitet von Böhme, Leipz. 1893–94, 3 Bde., mit Melodien).

Die besten Sammlungen älterer Volkslieder sind die von

  • Uhland (»Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder«, Stuttg. 1844–45, 2 Bde.; 3. Aufl. zugleich mit Uhlands schöner Abhandlung über das V. und einer allgemeinen Einleitung hrsg. von H. Fischer in Cottas »Bibliothek der Weltliteratur«, das. 1893, 4 Bde.) und
  • F. Böhmes »Altdeutsches Liederbuch« (Leipz. 1877, mit Melodien).
  • Sammlungen historischer Volkslieder besitzen wir von Rochholz (»Eidgenössische Liederchronik«, Bern 1835), Soltau (Leipz. 1836 u. 1856) und Körner (Stuttg. 1840);
  • die beste ist die von R. v. Liliencron (»Die historischen Volkslieder der Deutschen«, Leipz. 1865–69, 4 Bde.);
  • F. W. v. Ditfurth (s. d.) sammelte die historischen Volkslieder der letzten Jahrhunderte,
  • ferner A. Hartmann »Gesammelte Volkslieder und Zeitgedichte vom 16.–19. Jahrhundert« (mit Melodien; Bd. 1, Münch. 1907).

Eine Auswahl gibt die Sammlung von Simrock:

  • »Deutsche Volkslieder« (2. Aufl., Basel 1887) und
  • v. Liliencrons »Deutsches Leben im V. um 1530« (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 13, Stuttg. 1885).
  • »Deutsche Gesellschaftslieder des 16. und 17. Jahrhunderts« sammelte Hoffmann von Fallersleben (Leipz. 1844, 2. Aufl. 1860);
  • A. Kopp gab heraus »Volks- und Gesellschaftslieder des 15. und 16. Jahrhunderts« (Berl. 1905);
  • vgl. außerdem die Sammlung »Venusgärtlein« (1656), herausgegeben von v. Waldberg (Halle 1889);
  • Böhme gab noch heraus »Volkstümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert« (Leipz. 1895).

Als gute Sammlungen von Volksliedern einzelner Landesteile sind zu nennen:

Vgl. außerdem

  • Vilmar, Handbüchlein für Freunde des deutschen Volkslieds (3. Aufl., Marb. 1886);
  • Böckel, Psychologie der Volksdichtung (Leipz. 1906);
  • John Meier, Kunstlied und Volkslied in Deutschland (Halle 1906) und Kunstlieder im Volksmunde (das. 1906),
  • und die ausführliche Bibliographie von J. Meier in Pauls »Grundriß der germanischen Philologie«, Bd. 2 (2. Aufl., Straßb. 1903);
  • Bruinier, Das deutsche V. (3. Aufl, Leipz. 1908);
  • Uhl, Das deutsche Lied (das. 1900);
  • Kopp, Deutsches Volks- u. Studentenlied in vorklassischer Zeit (Berl. 1899);
  • Sahr, Das deutsche V. (2. Aufl., Leipz. 1905, Sammlung Göschen).
  • Eine Zeitschrift »Das deutsche Volkslied« wird von Pommer (Wien 1899 ff.) herausgegeben.
  • Die Lieder bekannter deutscher Dichter, die zu Volksliedern geworden sind, verzeichnet Hoffmann von Fallersleben, Unsre volkstümlichen Lieder (4. Aufl., Leipz. 1900).

Auch die Literatur andrer Nationen, namentlich die der Skandinavier, Engländer, Schotten und Slawen, weist wertvolle Volksliederschätze auf; vgl. die Angaben in den Artikeln über die Literatur der einzelnen Völker.

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