Steinitz II: Demokratische Volkslieder

Wolfgang Steinitz (in: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Band I, 1954, Seite XXII f)

Unter demokratischen Volksliedern verstehe ich, wie oben gesagt, Lieder des werktätigen Volkes, die den sozialen und politischen Interessen der durch Feudalismus, Kapitalismus und Militarismus unterdrückten Werktätigen einen klaren Ausdruck geben. Dabei kann der Grad der Bewußtheit der eigenen Interessen sehr verschieden sein und von der Klage über die elende Lage bis zur flammenden Anklage der Unterdrücker und zum Fanal des Aufstandes reichen.

Die in diesem engeren Sinne verstandenen demokratischen Volkslieder – im weiteren Sinne zeigt das ganze Volkslied, das allen Gefühlen und Wünschen, dem Hoffen und Leiden deswerktätigen Volkes Ausdruck gibt, einen demokratischen Charakter – spiegeln also die Unterdrückung der Werktätigen und ihren Kampf gegen die eigenen Unterdrücker wider. Lieder, die den Freiheitskampf des ganzen Volkes gegen ausländische Invasion widerspiegeln – z. B. Lieder gegen die Türkengefahr und die Spanier (z.B. das großartige Sächsische Mägdlein) im 16. Jh., über Andreas Hofer und die Freiheitskriege gegen Napoleon – also patriotische Lieder, gehören in einen anderen Zusammenhang und sind hier nicht aufgenommen.

z.B: Das großartige „Sächsische Mägdlein“ aus dem 16. Jh., aus dem hier drei Strophen angeführt seien:

2. Mein Vaterland bedränget ist
gefangen hart mit Falsch und List
dein heiligs Wort wird weggetan
des Papstes Greul feht (fängt) wieder an

7. Kein Schmuck an meinem Leibe sei,
bis Deutschland werde wieder frei,
kein Mann noch Jüngling hie auf Erd
dem ich freundlich zusprechen werd

Kein Trunk ich nimm von keinem Mann
weil sie kein Herz im Leibe han
stets soll mein Angesicht saur sehn
bis die Spanier untergehn

(Fliegendes Blatt des 16. Jhs.: Uhland II Nr. 354.)

Nicht aufgenommen sind auch die seit dem 15. Jh. belegten und „allermeist und allenthalben gebräuchlichen“ antipfäffischen Lieder (z. B. „Pfaffenschandlied“ von 1583, E.B. Nr. 154 und Nr. 155 „Die schöne Müllerin und der Domherr“), die in den sozialen Kämpfen der Reformationszeit auch unmittelbar als Kampflíeder gegen die den Feudalstaat verteidigende Geistlichkeit gesungen wurden. So gab ein Spottlied auf einen buhlerischen Geistlichen „Johannes im Korbe“ in den Jahren 1510 und 1511 „Anlaß zu blutigen Auftritten“ zwischen Bergleuten und Geistlichen in Annaberg, Schneeberg und Freiberg im Erzgebirge. Die handschriftliche Chronik von St. Annaberg berichtet darüber für das Jahr,1511: „„Denn es war großer Aufruhr wegen eines Gesanges, der Schuler im Korb genannt, daß man Tag und Nacht mußte im Harnisch reiten, ehe man die Bergleute und alle Aufwiegler stillete.“ (Hier nach E. B. I Nr. 144).

Weiter sind hier im allgemeinen nur solche Lieder aufgenommen, die als Ganzes eine eindeutige Stellungnahme für die Unterdrückten, gegen die Unterdrücker zeigen. Ausgeschlossen bleiben also z. B. Landsknechts- und auch Soldatenlieder, die zwar realistische Stoßseufzer über Hunger, Kälte, schlechten Sold u. ä.. enthalten, aber gleichzeitig auch das Leben auf Kosten der Bauern oder das Saufen und Schuldenmachen lobpreisen (z.B. Mittler Nr. 1435 oder „O weh mir armen Bauernsohn“ (Steglich 595)).

Ausgeschlossen bleiben ferner „Rinnsteinlieder“ und Lieder des Lumpenproletariats, der Bettler, Vagabunden, Dirnen usw., die zwar auch Opfer der Klassengesellschaft sind, aber nicht zum werktätigen Volk gehören, z.B. „Bin einstmal betteln gegangen„. Oder Soldatenlieder wie „O weh, mir armen Bauernsohn“, das schildert, wie der Bauernsohn zum Militär muß und gedrillt wird, aber schließt mit „Vorüber ist nun jede Qual, Ich werde selbst bald Korporal; Da mach ich die Rekruten dumm Mit Linke und Rechts und Ganzherum.“ (*Steglich 595).

Schon im Wunderhorn erscheint das Lied vom Bettelvogt, das nach Schade, Handwerkslieder, S. 222 „häufig von Gesellen und jungen Handwerksmeistern in Weimar gesungen“ wurde und scharfe Strophen gegen „den alten Schindersknecht“ enthält, der auch die wandernden und fechtenden Gesellen schikanierte. Auch Lieder im Kundenjargon wie „Kunde, willst du talfen gehn, Laß mich erst dein Fleppchen sehn, Ach wie ist das Walzen schön, Wenn man brav kann talfen gehn“ (Böckel, Oberhessen Nr. 96) sind nicht aufgenommen, da sie, trotz einiger oppositioneller anklägerischer Strophen, im allgemeinen den Gesichtspunkt des Lumpenproletariats repräsentieren.

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