Rätsel und Sprachspiele

Georg Eskuche (in: Kasseler Kinderliedchen, Nr. 110 folgende)

Schon Fischart im 16. Jahrhundert kennt gleiche Scherze: Kuhrantzumvieh (Kuh rannt‘  zum Vieh); Virlamenten (Wir lahm’n Enten); Kukleaß (Kuh Klee aß).
Noch weiter in dem Verzerren der einzelnen Satzglieder geht der für die Satzzeichenlehre wichtige Scherz, der so oder ähnlich auch im andern Deutschland gesagt wird:

Es schrieb ein Mann an eine Wand
Zehn Finger hab ich an jeder Hand
Fünf und zwanzig an Händen und Füßen.

Bei fast all diesen Sprüchen haben die Kinder ihre Freude an der größten Gewandtheit der Zunge; weit sinniger aber ist das Wettspiel, wo nicht die Schnelligkeit des Gliedes, sondern des Geistes den Sieg erringt, wir meinen das Rätselspiel, zu dem schon die letzten Sprüche überleiteten. Jetzt ist das Rätsel nur ein heiteres Spiel, einst war’s ein ernster Kampf um Gut und Leben, um Braut und Ehre, wie uns manches alte Heldenlied meldet.

Richter 14. 12: Simson aber sprach zu ihnen: Ich will euch ein Rätsel aufgeben. Wenn ihr mir das erratet und treffet diese sieben Tage der Hochzeit, so will ich euch dreißig Hemden geben und dreißig Feierkleider. Könnet ihr es aber nicht erraten, so sollt ihr mir dreißig Hemden und dreißig Feierkleider geben. Und sie sprachen zu ihm: Gib dein Rätsel auf, laß uns hören. Er sprach zu ihnen: Speise ging von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken. Und sie konnten in dreien Tagen das Rätsel nicht erraten. Am siebenten Tage sprachen sie zu Simson’s Weibe: Überrede Deinen Mann, daß er uns sage das Rätsel; oder wir werden Dich und Deines Vaters Haus mit Feuer verbrennen.

Ebenso feiert die hebräische Sage (1. Könige 10, 1 ff.) den König Salomo als den weisen Herrscher besonders dadurch, daß sie ihm die Gabe des Rätsellösens erteilt: Und da das Gerücht Salomo’s, von dem Namen des Herrn, kam vor die Königin vom Reich Arabien, kam sie, ihn zu versuchen mit Rätseln. Und sie kam gen Jerusalem mit einem sehr großen Zeug, mit Kamelen, die Spezerei trugen und viel Geld und Edelgesteine. Und da sie zum
Könige Salomo hinein kam, redete sie mit ihm alles, was sie sich vorgenommen hatte. Und Salomo sagte ihr alles, und war dem Könige nichts verborgen, das er ihr nicht sagte. —

Eine weit schlimmere Rätselgeberin tritt in der griechischen Sage auf, die thebanische Sphinx. Wie stimmen wir doch in den Jubel der lange geängstigten Thebaner ein, als Oedipus, der Held des Schwertes wie des Geistes, das Rätsel siegreich löst:

Am Morgen geht’s auf vier Füßen
am Mittag auf zwei
am Abend auf drei Füßen

Da stürzt sich das Löwenweib wutschnaubend vom Felsen in den Abgrund hinunter. —

In der germanischen Sage nun eignet dem Rätsel noch viel häufiger diese fast unheimliche Macht. Da gelobt z. B. König Heidhrekr, um sich von einer schweren Mördschuld zu sühnen, er werde jeden Frevel gegen seine Person Jedem verzeihen, der ihm unlösbare Rätsel und Fragen vorlegen könne. Drum flehte Gesti, wegen vielfacher Vergehen gegen den König vor Gericht gefordert, unter Opfern den Odhin um Hilfe an, und der gütige Gott ging in Gesti’s Gestalt an den Hof und gab dem König 30 Rätsel auf. Heidhrekr aber löste sie alle. Das vorletzte dieser Räthsel lautete:

Wer sind die zwei, die zum Thing (= Versammlung) fahren? Drei Augen haben sie zusammen, zehn Füße und einen Schweif, so reisen sie über Land. Die Antwort war: der einäugige Odhin mit seinem achtfüßigen Rosse  Sleipnir. Bei diesen Geistesschlachten strahlten gewiß die Augen der alten Germanen ebenso mutig und siegesfreudig wie im Kamps mit Schwert und Speer. Das fühlen wir bei der hohen Bedeutung, die das Rätselspiel in der alten Götter- und Heldensage hat. Galt es doch, nicht nur die gleiche Stärke und Schnelle des Leibes, sondern die Ebenbürtigkeit des Geistes freudig zu bewähren.

Auch in der späteren Sage und dem Schrifttum des Mittelalters nimmt das Rätsel immer noch eine wichtige Stelle ein. Der weltbekannte Sängerkrieg auf der Wartburg, den einst die berühmtesten Dichter des deutschen Volkes abhielten, bestand doch im Wettsingen von Liedern und Rätseln: es ging da um den Kopf, denn „ohne Friede“  wurde gesungen. —

Cyriacus Spangenberg (vgl. Hessenland 1890, S. 53) gedenkt im Ehespiegel, Straßburg 1578, S. 250, b., der schönen, damals nicht mehr üblichen Sitte, auf den Zunftlauben oder unter den Lindenbäumen des Brühls sich mit Sprüchen und Rätseln wechselseitig zu überbieten: „wann die alten zusammen kamen, gab eyner dem
andern fragen auf; wer die meisten auflösete, verdienete eynen crantz. und in summa, wer noch heutiges tages im fechten, schießen, rennen, laufen, singen, ringen und springen das beste tuet, hat neben dem andern gewinnet eynen crantz zu lohn, und wa die leute frölich seynd in wolleben, auf die hohen feste oder sonst, da pranget man
mit cräntzen.“ Beim Kranzsingen hat in der Regel der Jüngling, der ein Mädchen zu Tanze bittet, ihr zuvor einige Rätselfragen zu beantworten. Zeigte er dann durch Lösen der Rätsel seine geistige Gewandtheit, so setzte ihm die Jungfrau das Rosenkränzlein auf, und er legte ihr nun seine Rätsel vor, zuweilen mit einem Eingang der Art: Ei, Jungfrau, ich will ihr was auf zu raten geben, Und wenn sie’s errät, so heirate ich sie! Die Rätsellieder sind daher
nicht selten Brautwerbelieder, ja Hochzeitlieder, wie in Erk’s deutschem Liederhort das Lied 153, wo der Reiter das Mädchen, das ihm alle seine Rätsel beantwortet hat, sogleich zu sich auf’s Roß hebt: Ewige Liebe sei dein Lohn! Und hop — hop ging’s mit ihr davon.

In unseren Tagen ist das gesprochene Rätsel zum kindlichen Unterhaltungsspiel herabgesunken, an dem sich
die Erwachsenen nur, um mal unter Kindern wieder Kinder zu sein, beteiligen, während sie auf die Lösung der gedruckten, meist auf ein geistloses Wortspiel hinauslaufenden Rätsel der Sonntagsblättchen viel Zeit und Mühe verwenden.

Georg Eskuche, in: Kasseler Kinderliedchen (1891, Nr 110 ff)

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