Obstbäume
„Unsere sämtlichen Obstbäume sind aus dem Süden (Italien) eingeführt worden und zwar durch romanische Kolonisten, romanische Bauern und später durch die Missionare, die aus dem Süden kamen und in Deutschland Klöster gründeten. Die Klöster sind alsdann die eigentlichen Befördurer der Obstkultur geworden. In ihnen wurde ja Obst als Nachtisch regelmäßig genossen. — Der Weg über die Alpen, den die Obstbäume nahmen, ging über die Brennerstraße den Inn hinab und von hier auch über die andere Römerstraße (über Mittenwald). Der andere Weg führte über den Rhein, aus dem Westen und Südwesten, also aus Gallien. Es verbreitete sich die Kultur des edlen Obstes durch das Maintal hinauf sehr rasch.
Die ursprünglich einheimischen Baumfrüchte der Germanen waren Schlehen, Bucheckern, Eicheln und Haselnüsse. Tacitus erwähnt in seiner Germania (Cap. 23) obendrein agrestia poma, wilde Äpfel, Holzäpfel. Also der wilde (Verwilderte?) Apfelbaum muß als ursprünglich einheimisch anzusehen sein, wenn auch die Sprachforscher das ahd. Wort apfel (germ. apla) als entlehnt ansehen (von der wegen ihrer Apfel berühmten Stadt Abella in Campanien). —
Der wilde Birnbaum dagegen stellt eine Entartung aus besseren Sorten dar, die erst später eingeführt waren. Auch das Wort Birne ist ein Lehnwort, ahd. pira aus dem lateinischen pirum, kaum vor dem achten Jahrhundert entlehnt. Die Einwanderung des Birnbaumes geschah wohl frühe, das Capitulare (812) erwähnt bereits mehrere Sorten : vor allemwar wohl die Pfundbirne, die römische Venusbirne, frühzeitig beliebt. Ebenso sind die Namen Kirsche, ahd. kirsa aus dem griechisch-lateinischen ceresia, Pflaume ahd. pflümo aus dem lat. prunus, Pfirsich aus dem latein. arbor persica entstanden. — Apfel, Birne, Pflaume, Walnuß, Kirsche sind allesamt um 65o bis 700 n. Chr. in Deutschland einheimisch.
Aus alledem erklärt es sich, daß sich nur noch wenige heidnische erotische oder sexuelle Gebräuche bei den importierten Obstbäumen vorfinden. Es war zwar noch die Zeit, daß man Wesen (Dämonen) in den Bäumen, auch in den Obstbäumen verehrte, daß man sie bat, umarmte, küßte, daß sie gut trügen; daß man sie wie die Frauen und Kühe mit der fruchtbar machenden Lebensrute strich. Sexuelle menschliche Vorgänge übertrug man auch auf diese Bäume. Die Schwangerschaft der Frau z. B. machte auch die Bäume schwanger. Man ließ eine schwangere Frau den zum ersten Mal tragenden Baum umarmen oder ließ eine Frau, die schon mehrmal geboren hatte, die Fruchtbäume des Gartens im Frühjahr umspannen oder ließ eine zum ersten Mal schwangere junge Frau von den Früchten eines zum ersten Mal tragenden Obstbaumes essen, auf daß beide recht fruchtbar würden. —
Sonst finden nur noch einzelne Übertragungen und Entlehnungen von älteren Kultbäumen auf diese jüngeren Obstbäume statt z. B. auf den Apfel- und auf den Birnbaum; wie schon von dem Wachholder einige Bräuche auf den importierten südlichen Sevebaum übergegangen waren. — In der Volksmedizin, namentlich in der erotischen und sexualen, spielen die Obstbäume aus denselben Gründen fast gar keine Rolle. —
Dagegen werden im Laufe der Jahrhunderte die Früchte der Obstbäume, die ja ganz anders als die uralt einheimischen wie Schlehe, Hasel, Eichel, Buchecker in die Augen fielen und mundeten, die da groß und prächtig an Duft, Farbe, Süße waren, an Gestalt bald rund (Apfel), bald durch eine Riefe geteilt (Pfirsich, Aprikose), bald oval einzeln oder paarweise (Pflaumen, Kirschen) vorkommen, den bedeutendsten Anlaß zu. einer anderen Erotik geben, nämlich zu Vergleichen und witzigen Gleichstellungen mit den menschlichen Geschlechtszeichen. Brust und Glied der Frauen, Hoden, Hodensack und Glied der Männer, Schenkel, Hüften und Hinterteil werden mit einzelnen ähnlich gestalteten Früchten verglichen. —
Diese Vergleiche sind keineswegs modern, sie sind bis ins Mittelalter zurück nachweisbar, teilweise auch im grauen Altertum schon bekannt und ihm entlehnt, neu treten sie nur in unser Volk ein und führen bis heutigen Tages ihr derbes, keckes und unverwüstliches Leben. —
Zuletzt möchte ich einen Aberglauben erwähnen, der einen erotischen Anklang hat. Es heißt allgemein im Volke, daß man alles Obst von Knaben pflücken lassen soll, nicht von Mädchen, weil sich das Obst durch diese leicht „spaltet“. Der Grund könnte der sein, daß nach einem weitverbreiteten Volksglauben die Mädchen durch ihre menses die Früchte verderben lassen. Es ist aber nicht vom „Verderben“ oder „Verfaulen“, sondern vom „Spalten“ die Rede; das scheint auf den „Spalt“ der Mädchen (Vulva) hinzuweisen, also daß hier wieder eine Übertragung der weiblichen Natur stattfindet.
Man vergleiche einen Ausdruck wie „Schlitzhusar“ für Mädchen; statt Schlitzhusar sagt man auch „Gespaltener Husar“ im Elsaß (Steinburg, Müttersholz). Übrigens gelten die Frauen und Mädchen durch die menses nicht bloß als unrein, sondern geradezu als schädlich und giftig; werden z. B. die Obstbäume von menstruierten Frauen gepflegt, so werden sie unfruchtbar, tragen nicht mehr oder gehen gar ein.“
in Volkserotik und Pflanzenwelt (1908)
Volksmusik: Volkserotik und Pflanzenwelt
Schlagwort: Germania • Kloster • Natur • Pflaume • Schwangerschaft
Ort: Italien
Siehe dazu auch:
- Die Waldbäume (Einleitung) ()
- Kan schinnern Baam gibt´s wie an Vugelbärbaam (Mundart, Niederdeutsch und Dialekte)
- Vorwort (Pflanzenerotik) ()