Marlborough Lied

R. D. F. (in: Allgemeine Wiener Musik-Zeitung, Nr. 65, 31. Mai 1842. )

Das Marlborough Lied der Franzosen

Das berühmte Marlborough Lied entstand zuverlässig nach der Schlacht bei Malplaquet im Jahre 1709 und nicht erst nach dem Tode John Churchill’s Herzog von Marlborough im Jahre 1722 wie einige ernsthafte Kommentatoren dieses historischen Scherzes vermeint haben. Keine Stelle dieses kleinen Volksliedes läßt eine Beziehung auf das wirkliche Ableben des Herzogs von Marlborough zu. Als dieser berühmte Feldherr am 17 Juni 1722 auf seiner Besitzung zu Windsor Lodge an den Folgen eines Schlagflusses starb hatte er seit sechs Jahren nicht mehr an der Spitze der Heere gestanden seit zehn Jahren in der europäischen Politik nur eine dunkle untergeordnete Rolle gespielt und die Franzosen damals wie sie zugeben noch leichteren Sinnes als heutzutage hatten Zeit genug gehabt ihn zu vergessen.

Als Georg I den Thron bestieg berief er den Herzog wieder an den Hof von welchem Königinn Anna ihn und seine Gattinn entfernt hatte doch nur um von ihm Rathschläge zu erhalten die er nicht immer befolgte Der Herzog lebte daher sehr abgeschieden auf seinen Gütern wo es ihm sogar an genügender Baarschaft fehlte um das prachtvolle Schloß Blendheim auszubauen welches Königinn Anna und das englische Parlament auf ihre eigenen Kosten zum Andenken des glänzenden Sieges bei Hochstätt hatten bauen wollen er verfiel in fast kindische Schwäche und verschied endlich unter den Augen der Lady Marlborough welche selbst sein prachtvolles militärisches Leichenbegängniß anordnete Das Lied ist also älter als des Herzogs Tod dessen Kunde nur in England wiederhallte und als genügender Beweis dafür kann ein altes Mährchen in Prosa gelten das dem Liede beigefügt war und in welchem es hieß Marlborough sey in der Schlacht bei Malplaquet die zwischen Mons und Bevay am 11 September 1709 geschah getödtet worden An diesem für die französischen Waffen so glorreichen Tage wurde selbst nach dem Geständnisse englischer Geschichtschreiber der Marschall Villars am Knie verwundet eben als er im Begriffe stand den Herzog von Marlborough zwischen den beiden Flügeln des französischen Heeres zu erdrücken In diesem entscheidenden Augenblicke schwebte Marlborough in der größten Gefahr und war nahe daran das Schicksal von fünf seiner General Lieutenante zu theilen die in dem Gewühle den Tod fanden Ohne Zweifel verbreitete sich auch ein Gerücht seines Todes und ein launiger Sänger verfaßte ihm diesen Grabgesang im Bivouac von Ouesnoy am Abende nach der Schlacht um sich zu trösten darüber daß er kein Hemd besaß und seit drei Tagen ohne Brot war allein das ist der Character des Franzosen Der Herzog von Marlborough gleich groß als Feldherr wie als Staatsmann hatte der Machtherrschaft Ludwigs XIV vielen Adbruch gethan dreißig Jahre hindurch hatte er sie verfolgt angegriffen geschwächt auf allen Schlachtfeldern in allen Cabineten Europas zu Hochstätt zu Oudenarde zu Ramillies hatte er sich als einen würdigen Zögling Condés und Turenne’s erwiesen sein Name war der Schrecken und die Bewunderung des Soldaten Da man ihn nicht besiegen konnte so besang man ihn und jede seiner Trophäen war von einem neuen satyrischen Liedchen begleitet Das Lied la Chanson war damals noch in Frankreich wie zur guten alten Zeit des Cardinals Mazarin der gewöhnliche Ausdruck für des Volkes Rachsucht und Vergeltungslust Dennoch überlebte das Marlborough Lied den Helden von Malplaquet nicht nur durch Tradition erhielt es sich in einigen Provinzen wohin es die Soldaten eines Villars und eines Boufflers gebracht haben mochten es wurde nicht einmal in die höchst reichhaltigen Sammlungen anekdotischer Lieder aufgenommen die einen Theil der Archive des französischen Adels ausmachten Plötzlich ertönte es wieder im Jahre 1781 von einem Ende des Reiches zum andern Dem Dauphin war in diesem Jahre zur Amme eine Bäuerinn gegeben worden Namens Madame Poitrine die wegen ihres gesunden Aussehens und ihres heitern Gemüthes den Vorzug vor den übrigen erhalten hatte Wenn Madame Poitrine das königliche Kind auf ihren Armen wiegte pflegte sie zu singen und der Prinz öffnete die Augen bei dem großen Namen Marlborough’s Dieser Name die naiven Worte des Liedes die Sonderbarkeit der Wiederholungszeile des Refrains und die rührende Einfachheit der Melodie fiel der Königinn auf sie behielt Lied und Melodie im Gedächtnisse Nach ihr sang nun Alles und selbst der König verschmähte es nicht zu trillern Marlborough s en va t en guerre Marlborough wurde gesungen von den Gemächern im hohen Versailles bis herab in den Küchen und Ställen das Liedchen machte Furore bei Hofe und als es bei den Parisern Aufnahme gefunden hatte wanderte es von Stadt zu Stadt von Provinz zu Provinz selbst nach England wo es bald eben so volksthümlich wurde als in Frankreich Ein französischer Reisender der in London nach Marlborough Street sich führen lassen wollte und sich des Namens derselben nicht erinnerte trällerte dem Kutscher die Melodie und dieser wußte sogleich woran er war Zu Paris ließ Beaumarchais in seiner Hochzeit des Figaro den Cherubin die Melodie des Marlborough singen wobei er den alten Refrain Mironton ton ton mirontaine durch den schmachtenden Vers ersetzte Que mon coeur que mon coura de peine Goethe der um jene Zeit in Frankreich reisete wurde ganz betäubt von dem allgemeinen Mirontons Concerte und warf einen Haß auf Marlborough den unschuldigen Anlaß dieser Gesangepidemie Marlborough gab seinen Namen den Moden den Stoffen dem Kopfputze den Wagen den Ragouts usw

Der Inhalt des Liedchens wurde auf Balken auf Fächer auf Schirme gemalt auf Tapeten und Meublen gestickt in Metall und Edelsteine gravirt erschien unter allen Formen und auf alle Arten Diese MarlboroughWuth dauerte mehrere Jahre und es bedurfte nichts Geringeres als den Fall der Bastille um die Wirkung eines Liedes zu verdrängen Gegenwärtig fern von Marlborough und dem Volksgesange auf ihn welche beide für Frankreich historisch geworden sind war unser Forschen nach dem Ursprunge dieser eben so kriegerischen als schwermüthigen Melodie gerichtet welche Napoleon ungeachtet seiner Abneigung gegen Musik jederzeit laut anstimmte wenn er zu Pferde stieg um ins Feld zu ziehen und wir sind nicht abgeneigt mit Chateaubriand zu glauben daß es dieselbe seyn möge mit jener welche Gottfried v Bouillon’s Kreuzfahrer unter den Mauern von Jerusalem sangen um sich zur Befreiung der heiligen Stadt und des Grabes Christi zu ermuntern Noch jetzt singen sie die Araber und es heißt daß ihre Vorfahrer sie zur Zeit der Schlacht von Massoure lernten wo die Waffenbrüder des Sire von Joinville sie zu dem Klirren ihrer Schilder sangen und zu dem volksthümlichen Schlachtenruf Montjoie Saint Denis MDC

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