Kinderlieder

Franz Magnus Böhme über heidnische Ursprünge

Franz Magnus Böhme (in: Deutscher Liederhort III (1894, S. 579 f))

Von Kinderliedern … kann ich nur eine kleine Zahl hier bringen, weil ein „Deutsches Kinderbuch“ aus Erk’s Nachlasse demnächst erscheinen soll, also der Inhalt hier nicht weggenommen werden, aber auch im Volksliederhort nicht ganz fehlen darf. Für letztern Zweck habe ich aus den von mir gesammelten 3000 Kinderreimen einige Proben und zwar besonders die mit heidnischen Erinnerungen, welche für die Wissenschaft das meiste Interesse haben, ausgewählt. —

Viele Volkskinderreime und Kinderspiele sind bekanntlich uralt, sind in der Zeit des Heidentums entstanden und, obwohl sie im Laufe der Zeit Umbildungen erfuhren, bewahren sie doch noch viele heidnische Anschauungen. Das ist durch gründliche Mythen- und Altertumsforscher (wie Jakob Grimm, K. Möllenhoff, Simrock, K. Weinhold, Rochholz, W. Wolf, Mannhardt u. a.) unwiderleglich nachgewiesen.

Zu den zahlreichen Kinderliedern mit mythischen Zügen gehören:

  • a) die Nornenlieder, darin drei Jungfrauen (Marien) spinnen. „Die drei Schicksalsgöttinnen (Nornen) sind hier nicht zu verkennen“ (Grimm, Myth. S. 388). —
  • b) Die Holdalieder, welche auf den Sonnendienst hinweisen. —
  • c) In den Sonnen- und Regenliedchen ist an die Stelle des Donner- und Regengottes „Wodan“ der „Heiland“ getreten. —
  • d) Viele Anreden an Tiere, die ursprünglich den heidnischen Göttern und Göttinnen geheiligt waren, später dem christlichen Gott und der Maria geweiht wurden, enthalten heidnische Erinnerungen. So z. B. die Reime an den Sonnenkäfer oder Frauenkühlein, welcher der Freia (Fru d. i. Frau), der Göttin des heitern Lusthimmels, der Liebe und Fruchtbarkeit heilig war; er wird deshalb aufgefordert, zum Himmel aufzufliegen und gut Wetter herab zu bringen. Ebenso wie die Käferlieder sind mythischer Natur viele Anreden an den Kuckuck, den Frühlingsverkünder, der zugleich die Gabe der Weissagung besaß, desgleichen an den Storch, der sonst für einen heiligen Vogel (Herrgottsvogel) galt, sowie die Reime an die Glücksspinne, an die Schwalbe u.a.m. —
  • e) Manche Kinderspiele bringen heidnische Erinnerungen. Namentlich enthalten viele Ringelreihen der Kinder noch altheidnische Vorstellungen und sind entstellte Reste uralter chorischer Ausführungen bei den Jahres- und Götterfesten unserer heidnischen Vorfahren, während andere Kinderreigen mit Brautwerbung und Schatzsuchung von den Erwachsenen auf die Kinderwelt übergingen. —
  • f) In einer Anzahl von Kinderreimen suken noch Hauskobolde und Zauberinnen, Nixen und Zwerge. Dieser Art sind die Lieder vom Nix in der Grube, vom tanzenden Butzemann, vom lachenden Kobold oder von Peter Holl. Ebenso beruht auf mythischer Tradition der Spottreim von der in eine Katze verzauberten Hexe und jener, darin die Katze mit dem König des unterirdischen Zwergvolkes in Verbindung gesetzt wird. —
  • g) In den Ansingeliedern endlich ist uralter mythischer Stoff über die Feier der heidnischen Jahresfeste vorhanden, wenn auch oft bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und verdreht. —

Übrigens findet man eine Anzahl Kinderreime schon oben gedruckt unter den Ansingeliedern (Nr. 1180— 1278), sowie einige unter den Balladen, z. B. „Anna und der Fähnrich“ ( I. S. 144— 146). „Bertha im Walde“ (I. S. 147), „der Butzemann“ (I. S. 23), „das Hasenlied“ (I. S. 523), „Kinderreigen“ Nr. 593 und das „Schwabenbüble“ Nr. 1002.

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