Kaiserhymne

Franz-Magnus Böhme (in: Volkstümliche Lieder der Deutschen (1895, S. 12f))

Franz-Magnus Böhme widmet der deutschen „Kaiserhymne“ in Volkstümliche Lieder der Deutschen (1895) mehrere Seiten (11-15) und dazu noch einen Aufsatz „Der englische Nationalgesang„. Hier ist, ohne weiteren Kommentar, sein Text:

Auf die Entstehung dieses ehrwürdigen Gesanges müssen wir etwas näher eingeben. Das Lied in seiner ursprünglichen Gestalt, hat ein Däne, Heinrich Harries, 1790 gedichtet. Mit der Überschrift Ein Lied für den dänischen Unterthan an seines Königs Geburtstage zu singen in der MElodie des englischen Volksliedes „God save great George the King“ steht es zuerst gedruckt im Flensburger Wochenblatt vom 27. Januar 1790, S. 225-227, wie folgt: „Heil Dir dem liebenden Herrscher des Vaterlands …“.

Unterzeichnet ist das Gedicht mit *s (d. i. H. Harries, Herausgeber des Flensburger Wochenblattes und damals Kandidat der Theologie zu Flensburg, später Pfarrer zu Brügge bei Kiel, gestorben daselbst am 28. September 1802). Wiederholt wurde das Lied abgedruckt in „Gedichte von H. Harries, 2. Teil, Altona 1804, S. 158“ mit der Anmerkung: „Dieses Lied ist nach Preußen gekommen und dort mit einigen Abkürzungen auch öffentlich gesungen worden.“

Dieses Lied von Harries wurde im Jahre 1793 durch einen gewissen Dr. jur. Balthasar Gerhard Schumacher verkürzt,  statt 8 nur 5. Strophen und etwas umgearbeitet. Diese Umarbeitung erschien zuerst in der Speyer’schen Zeitung Nr. 151 vom 17. Dezember 1793 als „Berliner Volksgesang“, unterzeichnet Sr. (d. h. Schumacher). Das ist das noch jetzt gesungene Lied „Heil dir im Siegerkranz“!

Ein Vergleich beider Texte lässt sofort die unbedeutenden Änderungen von Schumacher und dessen geringe Ehrenhaftigkeit erkennen. Nochmals gab Schumacher 1801 eine Umarbeitung von 7 Strophen in einer kleinen Schrift heraus: „God save the King“ Ritual eines Preußischen Volksfestes nach den Anordnungen der English ancient musical Society in London auf teutschen Boden verpflanzt von Sr., Dr. d. R., Berlin 1801. Die Zueignung ist unterschrieben: B. G. Schumacher. Darin heißt es:

„Als ich vor 7 Jahren zuerst aus London nach Berlin kam, wagte ich einen Versuch einer freien Übersetzung dieses Volksliedes, das jetzt noch in den Versen „Heil Dir im Siegerkranz, Vater des Vaterlands …“ in Berlin geschätzt wird. In der gegenwärtigen Umarbeitung habe ich mich bemüht die Lieblingsgedanken des gütigen Publikums beizubehalten und nur an einzelnen Orten dem Reime wiederum seine erste richtigere Form zu geben. Dieser Volksgesang ist also durchaus keine wörtliche Übersetzung des Englischen „God save the King“, er hat auch nicht einen tief durchdachten Gedanken, keinen Schwung der Poesie, Dinge, die schlechterdings nicht in einen Volksgesang gehören.“

Der unehrliche Verfasser hat die 5. Strophe weggelassen und dafür 3 selbstgemachte hinzugefügt. Dieses Lied von 7 Strophen, unterzeichnet B. G. Schumacher, Dr. der Rechte, erschien nochmals unter dem Titel „Preußischer Volksgesang, Fünfte Auflage, vom Verfasser selbst revidiert nach der von Herrn Hurka in Berlin abgeänderten Londoner Musik“, Berlin 1801. Anfang „Heil Friedrich Wilhelm Heil …“  In dieser revidierten Gestalt ist das Lied niemals vom Publikum gesungen worden, sondern die erste Bearbeitung von Schumacher 1793 ist bis heute beibehalten worden, nur die Schlußstrophe wurde so verändert, daß jetzt die 4 letzten Zeilen eine Wiederholung aus erster Strophe sind.

Beide Berliner Texte sind abgedruckt in H. v. d. Hagens Germania 9, Bd, S 297-299. Somit bleibt dem Dr. Schumacher nur das Verdienst, Harries Lied für dänische Untertanen von 1790 mit kleinen Änderungen als preußische Nationalhymne 1793 in Berlin eingeführt zu haben.

Das ist das Resultat der gründlichen Forschungen von Hoffmann „Unsere volkstümlichen Lieder“ (1869, Nr. 411, S. 14 ff und 187) Nichts neues sondern nur Bestätigung dieser Forschungen bringen folgende Abhandlungen

  • a) Dr Ochmann: Veranschaulichung der Entstehung des preußischen Volksliedēs „Heil dir im Siegerkranz“, Berlin Weidmann 1875
  • b) Pröhle: Abhandlung in der Nationalzeitung 22 März 1877
  • c) Historische Skizze im Militär Wochenblatt 1878 Nr 74
  • d) Dr Emil Bohn Aufsatz Heil dir im Siegerkranz in Breslauer Zeitg 1883, daraus in Schles Ztg 14 März 83
  • e) Daheim 1894 Nr 11

Auch viele andere Zeitungen brachten längere oder kürzere Notizen über Entstehung dieser Hymne. Über die berühmte englische Nationalhymne, deren Melodie die Deutschen adoptierten (s. Historisches und die Urform unter ausländischen Melodien).

Die Musik, mag sie von Carey 1743 oder wie andere behaupten von Dr John Bull 1605 sein hat sich lebensfähig erwiesen, ist in Deutschland seit einem Jahrhundert ungezählten andern patriotischen und Festliedern angepaßt und zu Variationen für alle Instrumente (z B für Klavier 1804 von Beethoven, für Orgel von Töpfer ..) benutzt von C. M. Weber als Schluß seiner Jubelouverture 1818 verwendet worden.

Im Jahre 1796 kam auf dem Berliner Nationaltheater mit Beifall folgendes Wert zur Aufführung: Der große Kurfürst vor Rathenau. Ein vaterländisches Schauspiel in vier Aufzügen von Friedrich Rambach. Der Text ist 1793 gedruckt und dem König Friedrich Wilhelm II gewidmet und wird darin die Befreiung des Städtchens Rathenau dramatisch behandelt. Die Musik, dazu Ouverture und 5 Zwischenakte lieferte Bernhard Wessely, seit 1796 Kapellmeister des Prinzen Heinrich von Preußen in Rheinsberg. Im 3 Zwischenakt ist die Vaterlandshymne eingelegt. Sie erschien bald darauf auch unter dem Titel: „Volkslied, God save the King mit neuem deutschen Terte und mit Variationen im Klavierauszug“ gedruckt Berlin bey Böheim, 1796.

In den Unglücksjahren Preußens scheint das Lied „Heil dir im Siegerkranz“ wenig oder gar nicht gesungen worden zu sein, erst nach der Schlacht bei Leipzig 1813, als der Siegerkranz wieder Bedeutung hatte, holte man es wieder hervor. Dass es zur wahren Volkshymne und sehr verbreitet wurde, ist dem spätern Geheimen Rat und Kabinettschef Louis Schneider in Berlin zu verdanken. Als 28 jähriger Reserveleutnant ließ er 1833 den von ihm redigierten Soldatenfreund, darin dies Königslied an der Spitze gedruckt stand, an das gesamte preußische Heer in 123,000 Exemplaren (mehr Soldaten hatte Preußen damals nicht) verteilen, und an des Königs Geburtstag 3. August 1833 wurde es aus hunderttausend Kehlen durchs ganze Land gesungen.  Als der König Friedrich Wilhelm III damals zur Erholung in Teplitz von dem Einfall und seiner Ausführung hörte, lobte er die gute Gesinnung des … Schneider und soll letzterer seine spätere hohe Stellung dieser patriotischen Tat verdanken.

Werfen wir noch einen kritischen Blick auf den Text: Friedrich Wilhelm II regierte 1786-1797, konnte mit Recht als sieggekrönter König gepriesen werden, hatte er doch persönlich an den Feldzügen gegen Frankreich 1792-93 sich beteiligt und die Festung Mainz zur Übergabe gezwungen. Das preußische Heer hatte damals auch im offnen Feld im Treffen bei Piramesens 14. Sept. und bei Kaiserslautern 28.- 30. Sept. 93 glückliche Erfolge und Siege in den Niederlanden aufzuweisen. Die Worte „Liebling des Volks“ sind nicht ohne Grund gebraucht, denn der König war beliebt und wurde sogar von ausländischen Schriftstellern der Vielgeliebte( le bien-aimé) genannt.

Bemerkenswert dürfte es sein, dass in 2. Strophe dieses Königsliedes zum erstenmal in deutscher Dichtung die seit der französischen Revolution sich geltend gemachte Anschauung zum Ausdruck kommt, dass dem Fürsten gegenüber das Volk eine gewisse Bedeutung hat. „Nicht Roß und Reisige /  sichern die steile Höh /  Liebe des freien Manns  / gründet den Herrscherthron“.

Man hat bis jetzt die erste Fassung von 1793 beibehalten, obgleich ein veralteter Ausdruck Handlung für Handel eine Besserung zugelassen hätte, auch in der Folgezeit dürfte ein in alle Schichten des Volks eingedrungenes Lied nicht abgeändert werden. Das Lied hat die Bedeutung eines Hymnus erlangt und wird gleich einem Gebet bei feierlichen Veranlassungen stehend gesungen oder angehört. Auch zur Ehrenbezeugung bei Empfang deutscher Fürsten im Auslande wird die altehrwürdige Weise durch Musikchöre intoniert.

Der ursprünglich bloß für Preußen bestimmte Text fand in andern deutschen Staaten entsprechende Umbildungen, davon einige folgen mögen.

(Schumacher, Balthasar Gerhard, geb. zu Kiel 1755, Dr. jur und Vikar des Hochstiftes in Lübeck, privatisierend seit 1800 in Berlin, gestorben nach 1801)

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