Johannes Cotta (Portrait)
Den großen Interessen des Vaterlandes und der Menschheit gewidmet, ist die Gartenlaube stets bemüht gewesen, auf die Männer hinzuweisen, welche eben diesen höchsten und edelsten Ideen ihr Leben und Streben in hervorragender Weise geweiht haben, und ihnen nach ihrem Dahinscheiden ein ehrendes Andenken für alle Zeiten zu sichern. Ein leuchtendes Denkmal, dauernder als Erz, setzt sie ihnen in den Herzen ihrer hunderttausend und aber hunderttausend Leser, in Stadt und Dorf, in Palast und Hütte, diesseits und jenseits des Oceans. In diesem Sinne sei auch das Andenken eines edeln deutschen Mannes gefeiert, dessen patriotisches Wirken in den Spalten dieses Blattes bereits wiederholt die rühmlichste Anerkennung gefunden hat. –
Wer jemals die alte Landgrafenstadt Eisenach besuchte, hat sicher auch das „Lutherhaus“ unweit des Marktes mit Theilnahme betrachtet. Noch wohlerhalten, erinnert es in seiner mittelalterlichen originellen Bauart an die ältesten Häuser Nürnbergs. Aber es führt seinen Namen mit Unrecht. Nicht Lutherhaus, sondern Cotta-Haus müßte es genannt werden, denn hier wohnte die begüterte Frau Cotta, welche im Jahre 1498 den von Magdeburg gekommenen, als Schüler vor den Thüren singenden vierzehnjährigen Luther liebevoll bei sich aufnahm und als Mutter fast drei Jahre lang für ihn sorgte, bis er die Erfurter Universität bezog. Eine alte Tradition sagt, daß in alten Zeiten die Familie Cotta aus Italien, ihrer ursprünglichen Heimath, nach Frankreich und von da nach Thüringen gewandert sei und hier in Eisenach und Ruhla sich niedergelassen habe. Ein Abkömmling von ihnen war der „Versilberer und Vergolder“ Johannes Cotta, der in dem romantisch schön gelegenen Ruhla in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und bis in den Anfang dieses Jahrhunderts lebte.
Der älteste Sohn der mit zwölf Kindern gesegneten Familie, am 24. Mai 1794 geboren und Johannes Cotta wie sein Vater genannt, entwickelte sich an Geist und Körper auffällig rasch und zeigte schon in seinen frühesten Jugendjahren einen Drang zu geistiger Ausbildung. Deshalb kam er im Jahre 1809 auf das Gymnasium in Eisenach, von dem er fünf Jahre später mit den besten Zeugnissen seiner Lehrer zur Universität Jena abging, um hier Theologie zu studiren. Auch hier mußten wie vordem in Eisenach neben dem von seinem Oheim Cotta gestifteten Stipendium, das er als Nachkomme dankbar bezog, Privatstunden ihm die Existenzmittel schaffen. Mit Ernst und Begeisterung widmete er sich seinem Studium, vergaß aber auch darüber nicht seine Liebe zur Musik und vor allein zur Orgel.
Mit besonderem Behagen wußte er noch als Greis ein auf sein Orgelspiel bezügliches Erlebniß zu erzählen, welches zwar erst seiner folgenden Lebensperiode angehört, aber gleich hier Erwähnung finden mag. Ein Ausflug führte den jungen Mann mit einigen Freunden nach Banz, der ehemaligen Benedictiner-Abtei in Baierns Oberfranken. Er stand auf der Terrasse und schwelgte in der wonnigen Aussicht in das weithinaus prangende Mainthal; er besuchte auch die prächtige Kirche und betrachtete vor Allem die berühmte Orgel mit höchstem Interesse. „Wenn sie in ihrer vollen Stärke,“ so lautet eine Beschreibung derselben, „mit der ganzen Fülle anhaltender Accorde erschallt, da erzittern die Betstühle, da erzittert des Hörers Brust von des Schalles erschütternder Kraft und der Macht der Töne; doch einschmeichelnde Melodien der die verschiedensten Stimmen nachahmenden Register besänftigten auch wieder den Sturm, welchen ein kecker und kräftiger Spieler mit diesen gewaltigen Tönen zu erheben vermag.“
Ein solcher kecker und kräftiger Spieler war aber unser Cotta. Er setzte sich zur Orgel und spielte in jugendlichem Uebermuth die schöne Schnoor’sche Melodie des schon damals in den akademischen Kreisen so beliebten Liedes der Freude: „Vom hoh’n Olymp herab etc.“ Aufmerksam hörte ein katholischer Geistlicher zu und bat, als Cotta geendet, mit vielem Lobe über sein wackeres Spiel, noch um ein zweites Lied. Rasch entschlossen begann er von Neuem, und mit hinreißender Gewalt brausten die Töne des Liedes, das einst vor nun dreihundert Jahren da drüben auf Veste Coburg entstanden, des energischen protestantischen Schlachtgesangs durch die Kirche der alten Benedictiner-Abtei. Tief erschüttert lauschten die Jugendfreunde und Reisegenossen, tief erschüttert war auch der katholische Geistliche.
„Wie heißt das Lied?“ fragte Letzterer, und als ihm Cotta bemerkte: „Es ist ja das Lied, das Ihr das Ketzerlied nennt, das Lied unseres Luther: Ein’ feste Burg,“ klopfte er ihm auf die Schulter und sprach: „Was, Ketzerlied?! nicht Ketzerlied’, ein schönes, kräftig Lied!“
In die Studienzeit Cotta’s fiel jene große, ewig denkwürdige Bewegung in der deutschen Universitätsjugend, welche nicht nur eine durchgreifende Reform des akademischen Lebens erstrebte und schuf, sondern zugleich und vor Allem das deutsche Nationalbewußtsein bewahrte, den deutschen Einheitsgedanken festhielt, pflegte und vorbereitete und so zum Ausgangspunkte der ganzen nationalen Bewegung Deutschlands geworden ist.
Die deutsche Burschenschaft wurde gegründet, und aus vollem Herzen, mit ganzer jugendlicher Begeisterung für Vaterland und Freiheit schloß sich Cotta dieser neuen Richtung an. Aber eben dieser Enthusiasmus, verbunden mit dem ihm innewohnenden und mit aller Liebe gepflegten und ausgebildeten musikalischen Talent, trieb ihn zu einer besonderen Bethätigung desselben. Zwei Jahre vorher, im April 1813, hatte Ernst Moritz Arndt sein kerniges Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ der Deutschen Zeitung zur Aufnahme überlassen. Der Dichter hatte dabei bescheiden bemerkt, daß ihm das Lied nicht verfehlt erscheine. Indem es aber in Wirklichkeit der treue Ausdruck der Zeit war, in welcher es entstanden, indem es dem sich gegen die Unterdrückung aufbäumenden, nach nationaler Einigung ringenden Volksgeiste den entsprechenden energischen Wortlaut gab, wurde es überall und namentlich auch in akademischen Kreisen, mit Theilnahme aufgenommen und erweckte überall Begeisterung. Aber noch fehlte ihm der Ton, die Weise, wodurch es recht von Mund zu Mund, von Herzen zu Herzen klingen konnte.
Dem schönen kräftigen Lied die entsprechende Weise zu geben, war der Gedanke unsers burschenschaftlich gesinnten Cotta. Er ging rasch an’s Werk, und auf seinem einfachen, stillen Studentenstübchen schuf er aus jugendlich begeistertem Herzen heraus eine dem Arndt’schen Text sich innig anschließende, ihn musikalisch wahrhaft reproducirende, kräftige, schwungvolle Melodie. Wir verkennen keineswegs die eigenthümlichen Schönheiten der weit später entstandenen Reichardt’schen Weise, welche übrigens die ältere Cotta’sche Melodie augenscheinlich benutzt hat, aber unbestreitbar ist es, daß die Cotta’sche Weise es ist, die zum eigentlichen Volksliede geworden, und mehr als zweifelhaft bleibt es, ob das schöne Arndt’sche Lied jemals zur Volkshymne geworden wäre, wenn es nicht damals durch die Cotta’sche Composition eine volksthümliche, leicht singbare Weise erhalten hätte. Die vollendete Composition theilte Cotta seinem Universitätsfreund Georg Friedrich Hanitsch mit, einem ebenfalls mit musikalischem Talent erfüllten Jüngling, der damals zu Arndt’s Bundesliede „Sind wir vereint zur guten Stunde“ die erhebende Melodie componirte. Er ging ihm beim Instrumentiren und Einüben des Vaterlandsliedes wacker zur Hand, und am 12. Juni 1815, als im Gasthof zur Tanne bei Jena die Burschenschaft gegründet wurde, als die landsmannschaftlichen Fahnen zum Zeichen der Auflösung der Landsmannschaften sich senkten und Alle sich brüderlich umarmten, erscholl zum ersten Mal in Deutschland das Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Wie begeistert sangen die Jünglinge hier bei ihrer Einigung in nationalem Geiste das gewaltige Lied der deutschen Einheit! Wie innig sangen sie:
„Das ganze Deutschland soll es sein!
O Gott vom Himmel sieh darein
Und gieb uns echten deutschen Muth,
Daß wir es lieben treu und gut!“
und wie schlug dem jungen Cotta, dem Mitgründer der Burschenschaft, das Herz bei diesem Gesange, bei dieser Wirkung seines Liedes!
Rasch ging das Lied von Mund zu Mund und wurde bald auch in nichtakademischen Kreisen mit Enthusiasmus gesungen. Im Jahre 1817 zogen mit eben diesem Liede die Jenenser zum Wartburgsfest in Eisenach ein. Aber Cotta war nicht mehr darunter. Schon im Jahre 1816, ein erst zweiundzwanzigjähriger Jüngling, wurde er in Anerkennung seines reinen, edeln Sinnes, seiner hohen, wissenschaftlichen Bildung und seiner tief ergreifenden [283] Rede zum Pfarrer der thüringischen Gemeinde Alperstedt bestellt. Seit diesem Jahre und bis zu seinem letzten Athemzuge hat er – zuerst in Alperstedt, dann lange Jahre in der Gemeinde Nieder-Zimmern, die ihn zum Pfarrer erwählte, endlich seit dem Jahre 1851 in Willerstedt bei Buttstädt – sein geistliches Amt unermüdlich verwaltet.
Ein allzeit treuer Anhänger des freisinnigsten Nationalismus, ein geistvoller Jünger des unvergeßlichen, von ihm hochverehrten Röhr, ein Priester echter, wahrer Humanität hat er durch mehr als einundfünfzig Jahre in seinem geistlichen Amte segensvoll gewirkt. Er war seiner Gemeinde und in ihr auch dem Aermsten ein wahrer Freund und Berather und, drei Mal verheirathet, seiner Familie ein liebevoller Vater. Wenn man den ganzen idyllischen Reiz eines patriarchalischen thüringischen Pfarreilebens genießen wollte, mußte man in dem jederzeit gastfreien Pfarrhause von Willerstedt einkehren. An schönen Frühlings- oder Sommerabenden, in Unterhaltung mit einem Freunde auf der Bank der Freitreppe, die zum Pfarrhaus hinaufführt, oder in der Rosenlaube des Gartens, im Kreise der Seinen, das schwarze Käppchen auf dem Haupt und die Pfeife mit dem meerschaumnen „Lutherkopf“, den ein kunstgeübter Verwandter in „der Ruhl“ ihm geschnitten und verehrt hatte, gemüthlich schmauchend, pflegte der gute Alte aus dem reichen Schatze seiner Erfahrungen und Erinnerungen die anziehendsten Mittheilungen zu machen und entwickelte die seltenen Gaben seines Geistes und Gemüths und seine große, freisinnige Lebens- und Weltanschauung in ebenso schlichter wie geistvoller Weise.
Und wenn er gar an die neue schöne Orgel seiner Kirche sich setzte und in gewaltigen Tönen eine eigene Phantasie über das Lutherlied erbrausen ließ, da begriff man das Erstaunen des katholischen Geistlichen von Banz, da begriff man auch, daß Cotta es gewesen, der schon als Jüngling mit langem, lockigem Haar die deutsche Volkshymne componirt hatte. Wohl wurde sie auch in seinem Dörfchen gesungen; er hörte sie oft genug und lächelte still vergnügt, wußten die Sänger doch nicht, wem sie die kräftige Melodie zu danken hatten. Erst durch die Gartenlaube ist seine Autorschaft bekannter geworden.
Das Jahr 1858 brachte das Jubiläum der Universität Jena. Auch Cotta wanderte zur alten theuern Musenstadt und feierte das fröhlichste Wiedersehen mit so manchem seiner Jugendfreunde. Es war ihm dies einer der glänzendsten Lichtpunkte in seinem Greisenalter, ein zweiter das Burschenschaft-Jubiläum 1865 in Jena, welches ihm all’ die lieben Jugenderinnerungen wieder wach rief. Ein Jahr später, am 16. October 1806, kam sein eigenes Amtsjubiläum. Er mochte es nicht als rauschendes Fest, sondern mir im traulichen kreise der Seinen beim Schwiegersohn in Weimar begehen; als aber, nachdem der Vater, der Freund gefeiert war, dem deutschen Mann der burschenschaftliche Trinkspruch gebracht wurde:
Sind wir vereint zur guten Stunde,
Noch einmal stoßet fröhlich an.
Noch einmal kling’ es in die Runde:
Es lebe hoch der deutsche Mann!
Der Mann, der uns das Lied gegeben,
Das deutsche Lied voll Macht und Kraft,
Noch einmal soll er jubelnd leben,
Der Mann der deutschen Burschenschaft!
und in diesem Augenblicke, Allen unerwartet, ein Musikchor mit den Jubelklängen seines Vaterlandsliedes einfiel, wurde sein Auge von Thränen der Freude und Rührung feucht.
Und noch einmal sollte er, der immer noch lebensfrische Greis, im Geiste seiner Jugend und seines ganzen Lebens öffentlich hervortreten. Der October 1807 brachte jene „drei unvergeßlichen Octobertage“, die erst neulich ein Wartburgsjubilar in den Spalten dieses Blattes mit so wahren, frischen Farben geschildert. Cotta war es, der als Mitglied des Festcomités, als Alterspräsident an der Spitze des Ganzen stand. Er war es, der als Kneipwart den Vorcommers am Abend des 17. October im Erholungssaal zu Eisenach eröffnete und sich, bei fröhlichem Wiedersehen alter treuer Jugendfreunde, dem gemüthlichsten Verkehre hingab.
Er war es endlich, der am 18. October vom Treppenaltan des Landgrafenhauses auf der Wartburg jene herzige Begrüßungsrede hielt, welche die soeben in Jena erscheinende Erinnerungsschrift der Gebrüder Keil „die burschenschaftlichen Wartburgfeste von 1817 und 1867“ veröffentlicht.
Als er seine Thüringer Berge, sein heimathliches Ruhla dort hinter den grünen Höhen, die Stadt Eisenach, in welcher einst seine Ahnin Cotta den Knaben Luther gepflegt und in welcher er selbst seine Bildung gewonnen hatte, als er die alten treuen, nun ergrauten Universitätsfreunde, die blühende akademische Jugend, die zum ersten Mal hier oben wieder wehende burschenschaftliche Wartburgfahne begrüßte, ihrer Verfolgung und endlichen Wiedererstehung und Wiederentfaltung gedachte und die jungen Burschen mahnte, der Fahne und ihren deutschen Farben allezeit treu zu bleiben, – da flatterte die Fahne und zeigte stolz ihren goldenen Eichenzweig, ihre schwarz-roth-goldenen Farben, da klirrten die Schläger der Präsides an einander, da blieb im großen, weiten Kreise in tiefer Bewegung wohl kein Auge trocken. Noch erlebte der wackere Alte die Freude, daß die Feier am flammenden Holzstoß auf dem Watenberge, der historischen Stelle der einstigen Bücherverbrennung, mit seinem Liede schloß, und entzückt lauschte er darauf vom Fenster des Gasthofes zum Rautenkranz dem „Gaudeamus igitur“ auf dem mit bengalischen Flammen erleuchteten Markte.
Wer konnte ahnen, daß jene Rede auf der Wartburg sein Schwanensang, jenes einzig-schöne Octoberfest seine letzte Freude sein werde?
Ein lange schon in ihm liegendes Leberleiden, verbunden mit heftigen Erkältungen, die er sich in pflichltreuer, aufopfernder Verwaltung seines geistlichen Amtes zugezogen, warfen ihn auf das Krankenlager, das er nicht wieder verlassen sollte. Am 18. März – gerade fünf Monate nach jenem 18. October 1807 und nur zwei Tage vor dem Tode Binzer’s, des Dichters der besten Burschenlieder – entschlief er und wurde am 22. März in die kühle, mit frischem Grün geschmückte Gruft gesenkt, zur Seite seiner heimgegangenen zweiten Gattin, der Schwester des berühmten Historikers Leopold Ranke.
So stirbt die „eiserne“ Jugend der Jahre 1813 und 1815, wie Gervinus sie nennt, die vaterländisch begeisterte alte Burschenschaft dahin. Wie viele sind schon abgeschieden! Auch ein Scheidler todt, – ein Hanitsch todt, – ein Binzer, ein Cotta todt, Einer geht nach dem Andern, aber nicht ohne eine große edle Verlassenschaft. Das Nationalbewußtsein, das sie wach gerufen und bewahrt, ist uns geblieben und hat das ganze deutsche Volk zu einer großen Burschenschaft gestaltet, welche der Verwirklichung ihrer heißen patriotischen Wünsche, der Erreichung ihres hohen nationalen Zieles mit jedem Tage näher rückt. Das von der Burschenschaft gewählte und geweihte Banner unserer großen nationalen Einigung, und auch das Lied dieser Einheit, die deutsche Volkshymne ist uns geblieben. So lange es ein deutsches Volk und deutschen Volkssinn giebt, wird auch das Kernlied unsers großen Patrioten Arndt erklingen, werden auch der Name Cotta und sein Andenken allezeit unvergessen und gefeiert sein und bleiben!
R. K. , Die Gartenlaube, Heft 18, S. 282–283, 1868
Lied-Geschichte: Sind wir vereint zur guten Stunde
Volksmusik: Biographien
Schlagwort: Wartburg
Ort: Coburg, Eisenach, Italien, Ruhla
- Fischer, Bernhard (Author)
Siehe dazu auch:
- Friedrich Silcher (100 Jahre) ()
- Julius Otto: Das treue deutsche Herz ()
- Wer war Ännchen von Tharau? ()