Heckerlied ein Studentenlied – aus Heidelberg? (1962)

Wolfgang Steinitz (in: Der grosse Steinitz - Volkslieder demokratischen Charakters)

Nachweisbar ist das Heckerlied im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts „in den deutschsprachigen Universitäten weit verbreitet gewesen; und zwar nicht als republikanisches Kampflied, sondern als „Juxlied“ der Korpsstudenten, als „Anstich- und Randalierlied“.

„Ratschintschin, ratschintschin
Kriwali krawali krum!
Die Revolution! die Revolution!
Blut muß fliessen knüppeldick
Vivat hoch die Republik
Sechsunddreißig Jahre währt die Knechtschaft schon
nieder mit den Hunden von der Reaktion“

„Dieses Revolutionslied ist bis in die sechziger Jahre in Wiens Studentenkreisen lebendig geblieben, allerdings nicht mehr als republikanisches Tendenzlied, sondern — als harmloses Anstich- oder Randalierlied. Nach der oben angegebenen Weise sangen wir Silesen in übermütiger Bierstimmung dieses Aufruhrlied, wenn es galt, den Expräses zu uzen oder in den Straßen zur Kontrahhage herauszufordern.“ (Wien 1865)  Der „alte Burschenschaftler“ Julius Meyer hat es in seine „Anstichlieder“ aufgenommen (2. Aufl. 1906) Das Lied war auch an den Schweizer Universitäten bekannt (Basel, Bern, s. 4., 5.).

Obwohl man über die Lieder der Revolution von 1848 aus Flugblättern, Liederbüchern, Berichten von Zeitzeugen recht gut Bescheid weiß, lässt sich ein so eingängiges und weit verbreitetes Lied wie „Wenn die Leute fragen lebt der Hecker noch?“ für die Zeit von 1848 und 1849 nicht belegen. Schon dies spricht – laut Steinitz – dafür, daß das Lied erst nach den revolutionären Ereignissen entstanden ist.

John Meier schreibt in Volksliedstudien (1917) über das Heckerlied: „Auf den deutschen Universitäten vor allem ist das Heckerlied gesungen, das wohl in seinem Kern und ältesten Zusätzen im Süden Deutschlands entstanden, dann aber auch in den Norden gedrungen ist: in Freiburg , Würzburg , Tübingen , Halle , Jena , Berlin , Greifswald , Göttingen ist es nachweislich bekannt, aber sicherlich noch an weiteren Universitäten.“

Er schließt daher auf studentische Herkunft unseres Liedes: „Bei dem auf Hecker übertragenen Lied fällt uns sofort seine Blutdürstigkeit und der drastische, ins komische übergehende Ton auf, den die Plusstrophen haben. Sie atmen nicht den Geist der 48er Bewegung, sondern den der französischen Revolution, und unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf: Sollten diese Strophen ernst gemeint sein oder ist es eine komisch gemeinte und lächerlich wirkende Übertreibung der Ideen der 48er Zeit?

Gewiß, man wollte damals die Republik proklamieren und die Fürsten verjagen, aber „Fürstenblut muß fliessen“ und noch mit dem drastischen Zusatz „Knüppelhageldick (Knüppelknappeldick)“? Hat man in den 48er Jahren gerufen: „An den Darm der Pfaffen henkt den Edelmann“ oder „schmiert die Guillotine (die damals in Deutschland gar nicht gebraucht wurde) mit der Pfaffen Fett“?

Nein, dies alles, wie die übrigen Zusätze, sind Produkte fröhlicher, studentischer Stunden, in denen sich der Geist der Jugend krafthuberisch austoben mußte und die Jugend ihrer freiheitlichen Stimmung Ausdruck gab und sie zugleich ironisierte, Schöpfungen studentikoser, nicht ernst gemeinter und lustig wirkender Übertreibung (hierher auch der Gebrauch von drastisch und etwas gewöhnlich wirkenden Dialektformen in der Würzburger Fassung). . . . Von den Hochschulen aus ist es dann im Volk verbreitet, wie so viele unsrer Studentenlieder.“

Steinitz ergänzt: „Ich möchte dem hinzufügen, daß „33 Jahre“ ( Das Heckerlied) aller Wahrscheinlichkeit nach in studentischen Kreisen Südwestdeutschlands (Badens) entstanden ist, die anfänglich für die revolutionäre Bewegung von 1848/49 begeistert, nach ihrer Niederschlagung aber enttäuscht und leicht einer zynisch-spöttischen Behandlung der Ereignisse zugänglich waren.

AIs Grundlage des Liedes nahm man eben das sicher auch unter den Studenten beliebte Lied auf die mutigen Frankfurter Studenten, in dem die am Schluß stehenden Strophen: „Gebt uns eure roten Purpurmäntel her und besonders die Strophe „Wenn die Fürsten fragen“ mit „Er hängt an keinem Baume…nur an dem Traume“  direkt zur Ironisierung herausforderten. (Steinitz II , 1962)

„….in Studentenkreisen entstanden annehmen dürfen, da es hauptsächlich unter Studenten gesungen wurde….Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir Heidelberg, den Studienort Heckers, als Geburtsort des Liedes annehmen.“ (O. F. Scheuer: „Das Heckerlied“ in: Deutsche Hochschule. Zeitschrift des Burschenbunds-Convents , 16. Jg, 1917)

In der Weimarer Republik konnte das Heckerlied „ seinen früheren Charakter als „Spottlied gegen die Revolutionäre“ – nicht nur die 48er, sondern auch gegen die „Roten“ … beibehalten und als solches auch von ihren Gegnern verwandt werden.“ Interessanterweise wurde das „Heckerlied“  in linken Liederbüchern der Weimarer Republik als „Spottlied auf die 48er Revolutionäre“ aufgenommen : „Kampflieder“ , Berlin 1923 , „Rotfront“, 1925, “ Jugendliederbuch (1928)“

Die Zusammensteller der kommunistischen Liederbücher faßten es also nicht als Kampflied der revolutionären Arbeiter auf, eine Einschätzung, die mit der von John Meier (1917 , Volkliedstudien ) übereinstimmt. Die revolutionären Arbeiter jedoch sangen es nicht zum Spott auf die 48er Revolutionäre — dazu bestand kein Anlaß —, sondern aus der gleichen Erbitterung heraus wie die Soldaten im Herbst 1918. Das zeigen auch deutliche Äußerungen der Einsender des Liedes an das Arbeiterliedarchiv. So schreibt Elise Hahne , Jena :

„Auch bei uns (in Thüringen) gab es mächtige Aufmärsche, als Rathenau ermordet wurde. Da wurde obenstehender Vers gesungen.“ Das zeigt auch die Tatsache, daß das Singen des Liedes von der Polizei verboten wurde („Dies war ein verbotenes Lied“ ( Bernhard Seypelt , Zittau)).

Die Aufnahme des Heckerliedes „in das Liederrepertoire der Arbeiterbewegung wurde wesentlich dadurch erleichtert, daß dieses Lied ja mit dem in der Arbeiterbewegung bekannten Lied von den Frankfurter Studenten und mit dem Absalon-Lied starke textliche Gemeinsamkeiten besaß: zwei gleiche Strophen sowie einen ähnlichen, z. T. sogar gleichen Kehrreim, der auch in seiner Melodie teilweise übereinstimmte.

Der Kehrreim spielt in solchen, wenigstens zum Teil als Spottlied gedachten Liedern eine große alle am Gesang — oft mehr oder weniger schwach — Teilnehmenden sehr aktivierende und mitreißende Rolle und zeigt die Tendenz, immer stärker anzuwachsen….

Zwischen den Kehrreimen der Lieder bestanden also während der ganzen Geschichte (des Hecklerlieds) immer wieder erneuerte Beziehungen zu den „Frankfurter Studenten“ und zum  „Absalon-Lied“. Noch stärker sind die Gemeinsamkeiten der Melodie des Kehrreims aller drei Lieder.

alle Zitate nach Steinitz II , 1962

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