Gesang in der Grundschule
Der Gesang und die Gesangeskunst muß deshalb in der Schule die liebevollste Pflege erfahren. Ich wollte durch meine Prüfungen nun erforschen:
- wie singen die Kleinen bereits, wenn sie der Schule zu geführt werden.
- von wem haben sie das Singen gelernt
- welche Lieder singen sie am liebsten?
1: Wie sangen die Kleinen die angemeldet wurden
Von den 187 Kindern sangen 103 Kinder, und zwar 31 Knaben und 72 Mädchen, mit frischer klarer Stimme ihr Liedchen, rein auch von dem höheren Tone aus, der mit der Violine angegeben wurde. 4 Knaben und 9 Mädchen gingen mit ihrer Stimme über „d“ hinaus. Ein Mädchen, eine geborene Münchnerin, sang in dem Liede „Fuchs du hast die Gans gestohlen“ bis zum hohen „a“. Ein Knabe ging bei den Tönen über „d“ in die Oktave herab. Ein Mädchen sang bis zum „e“ herauf traf aber das „f“ nicht mehr, da es die Fistelstimme nicht gebrauchen konnte, statt des hohen „a“ nahm es das ihm bequemer liegende „a“ in der Oktave. Ein Mädchen sang das Lied „Mir schlug ein Mutterherz“ mit vielem Ausdruck in der Art und Betonung des Volkes. Einem andern Mädchen standen in dem Liede „Schön Hannchen in der Mühle“ bei den Worten „Hab keine Mutter mehr“ die Tränen in den Augen. Einem Knaben, der kein Lied konnte, der aber sehr begabt war, sagte ich immer einen Vers vor, spielte ihm die Melodie mit der Geige und er sang prompt und richtig nach. Ein anderer Knabe hatte während des Wartens in meinem Zimmer das ihm unbekannte Lied „Hänschen klein“ einige Male singen gehört und sang es mir dann ganz hübsch vor. 9 Kinder(3 Knaben und 6 Mädchen) sangen ihr Liedchen vollständig richtig, schlossen sich auch der Geige schön an, vermochten aber die höheren Töne über „a“ nicht zu treffen. 38 Kinder, und zwar 16 Knaben und 22 Mädchen, konnten zwar ein Lied ganz oder ziemlich richtig singen, vermochten aber wenig oder gar nicht dem Tone der Violine zu folgen.
Wenn das Kind sich Abweichungen von der Melodie gestattet, so ist das nicht immer von den natürlichen Anlagen desselben für Musik abhängig zu machen, es kann dies auch auf die Quelle zurückzuführen sein, aus der das Kind schöpfte. 24 Kinder (13 Knaben und 11 Mädchen) befriedigten wenig und zwar
- 10 Kinder (4 Knaben und 6 Mädchen) sangen ziemlich monoton und trafen nur die Töne zwischen d und f
- 5 Kinder (1 Knabe und 4 Mädchen) kannten zwar etwas Melodie irgend eines Liedes es fehlten ihnen aber die Texte
- 5 Kinder (4 Knaben und 1 Mädchen) kannten zwar Liedertexte, waren aber mehr oder minder unsicher in der Melodie
- 4 Kinder (4 Knaben) sprachen nur Texte vermochten aber nicht zu singen
- 22 Kinder (10 Knaben und 12 Mädchen) waren überhaupt nicht zum Singen zu bewegen und zwar war darunter
- 1 Kind (Knabe 9 Jahre alt) vollständig körperlich und geistig zurückgeblieben, so dass er von Jahr zu Jahr vom Schulunterricht befreit worden war und Ostern 1904 sofort der Nachhilfeschule zu geführt wurde
- 3 Kinder (2 Knaben und 1 Mädchen) waren infolge Rachitis und Kinderkrankheiten noch sehr weit in der körperlichen und geistigen Entwicklung zurückgeblieben, das Mädchen hatte erst mit 5 Jahren sprechen gelernt
- 2 Kinder (Mädchen waren) außerordentlich nervös und leicht zum Weinen geneigt …
…. von dem Gebrauch der Fistelstimme ausgeschlossen sein sollen ist nicht recht ersichtlich, da nach den verschiedensten Untersuchungen auch die Knaben in der Elementarklasse die Fistelstimme mühelos gebrauchen lernen (FICHTNER 50% Knaben und 75% Mädchen) Zu beachten ist aber folgendes: Die Knabenstimmen werden vor der Schulzeit schon häufig für immer verdorben, indem niemand davon Notiz nimmt, welchem Missbrauche die Knaben ihre Stimmen unterwerfen. Auf dem Spielplatze singen sie nicht, sondern schreien ihre Lieder herunter. Im besten Falle bedienen sie sich mehr einer Art von Sprechsingen, das sich in den Tönen des Brustregisters bewegt. In diesem Umfange sind sie zu Hause und legen sie auch ordentlich los. Sobald sie einmal über die gewöhnliche Höhe anstimmen und über den gewohnten Umfang hinauf üben, kommt entweder ein widerliches Geschrei zustande oder die Sänger verstummen, weil sie selbst merken, dass es so nicht weiter gehen kann. Diese höheren Regionen der Töne aber nur bis „d“ ihnen zugänglich zu machen das ist eine Aufgabe des Gesanglehrers.
Volksmusik: Gesang in der Schule, Volksmusik Praxis
Liederzeit: 1871-1918: Deutsches Kaiserreich