Es geht ein frischer Sommer daher

Der Wisbeckenton

Franz Magnus Böhme (in: Deutscher Liederhort II (1893, Nr. 269) Anmerkungen)

Der Urtext des Liedes „Es geht ein frischer Sommer daher,“ ist verloren. Nur die 2 Anfangszeilen davon sind durch die Parodien erhalten geblieben, Sie finden sich zunächst im vorstehenden Reformationsliede, das ich nicht mehr (wie im Altd. Ldb. Nr, 387) für den Urtext, sondern für eine geistliche Umbildung halte. —

Ferner klingt das alte Lied heraus in folgendem auf Magdeburgs Zerstörung 1551 :

Es get ein frischer sommcr daher
vnd volt ir hören newe mär
davon ich euch will singen
Hilf treuer Christ vom himmelreich
Daß uns nicht mißgelinge.
(Liliencron. Nr. 588)

Wiederum beginnt ein Lied auf die Stadt Callis im französischen Kriege 1558:

Es geht ein frischer sommer daher
Ir werdet erfaren newe mär
Darvon ich euch will singen
Wol von dem edeln künig von Frankreich
Hilf, Gott, dz uns gelinge, ja gelinge

Noch eine große Anzahl historischer und anderer Lieder im 16. und. 17. Jahrhundert werden auf diesen Ton gesungen. Sie benutzen entweder geradezu zum Eingang das Stammlied, oder erwähnen wenigstens die Sommerzeit und die neue Mär (Neuigkeiten), die aus dem Feldzuge kommen.

Der verlorene Text „Es geht ein frischer Sommer daher“ muss ein Kriegslied gewesen sein, denn daran erinnerten die Anfangszeilen von der neuen Mär und dem Schimpf (Scherz, Kriegsspiel) der sich machen wird so wie auch die krachenden Spieße im niederländischen Text. Seine Melodie hätten wir sicher gerettet und bleibt es befremdlich, warum dieselbe niemals in vierstimmigen Tonsätzen jenes Zeitalters vorkommt.

Sie ist aber zugleich der sogenannte Wisbeckenton. Das müssen wir daraus folgern: dass alle Lieder mit dieser Tonangabe einen sommerlichen Eingang haben, wie das obige Reformationslied und viele andere Texte bezeugen, die von Liliencron (Ton 107) zusammengestellt und daraus unwiderleglich die Identität beider Weisen nachgewiesen hat.

Der Wispecken- oder Wisbeckenton mag seinen Namen haben von einem Liede auf den Feldhauptmann Georg Wispeck, der in der Böhmerschlacht 1504 eine klägliche Rolle spielte. So vermutet Goedecke (Grundr. § 141, Nr. 12) und ich stimme ihm bei.

Dagegen meint Freiherr von Liliencron (Töne 107 und deutsches Leben im Volkslied, S. 22), der Ton sei benannt nach dem Wiener Hofpoeten Hans Wispeck, der schon 1457 das Lied auf König Lasla dichtete. Diese Annahme halte ich für unwahrscheinlich, weil es im Volksgesange niemals Brauch war, die Töne nach Dichtern zu benennen, wie solches nur die Meistersinger tun. Das Volk nennt seine Lieblingsweisen stets nach dem Hauptinhalte des Liedes (wie Störtebecker-, Lindenschmid-, Benzenauer-, Schüttensamton etc.) nicht nach Dichternamen, die ja doch bei wirklichen Volksliedern gar nicht bekannt sind. —

Zuletzt ist es glcichgültig , woher der Name Wisbeckenton stammt , wenn wir nur die Musik davon haben, und diese besitzen wir in der Melodie: „Es geht ein frischer Sommer daher“.

Vor das Jahr 1504 geht die Bezeichnung Wisbeckenton nicht zurück, sie kommt erst zwischen 1519— 32 vor und etwas später (erst nach 1524) die andere: ,. Es geht ein frischer Sommer daher“. Das wirft einiges Licht auf Alter und Abstammung des Wisbeckentones.

Gödeke sagt: „Es muss ein Lied in fünfzeiliger Strophe auf diesen (Georg Wispeck) gegeben haben“, da später der Wisbeckenton vorkommt. Warum aber noch ein anderes Lied vermuten? Könnte nicht das Lied auf die Böhmerschlacht (1504) Anlass zu dieser Tonbezeichnung gegeben haben, da darin eben Georg Wispeck, der Feldhauptmann des Pfalzgrafen Ruprecht, besungen wird? Somit wären Wisbeckenton und Böhmer Schlachtweise identisch. Dcr Ton kann seinen Namen gewechselt haben und nach 1524 „Es geht ein frischer Sommer daher“ benannt worden sein. Demnach bezeichnen zuletzt alle 3 Tonangaben die gleiche Melodie.

Gegen diese Annahme ist nichts einzuwenden. Selbst das wäre kein Grund an der Gleichheit der Tonwcisen zu zweifeln, wenn von diesen Tonangabcn zwei neheneinander angeführt würden. Das geschieht nur einmal zum Liede bei Liliencron 441, wo es heißt „In des Wispeckenton, oder „Es get ein frischer summer“. Die zweite (überflüssige) Tonbezeichnung konnte den Zweck haben, dem Sänger zu Hilfe zu kommen, der die Melodie unter einem anderen Namen kennt.

Warum dieselbe Melodic auch „Schweizerton“ heißt, ist nicht ergründet, vcrmutlich aber doch nach einem historischen Liede der Schweizer, das mir nicht bekannt ist. Auffallend wird nun der fünfteilige Ton schon 1512 und 1513 zwei historischen Liedern (Liliencron 269, 270) vorangesetzt, die aber sechszeiliges Strophenmaß haben. (Letztere Form war durch Wiederholen der 4. Zeile leicht herzustellen.) Dürfen wir daraus folgern, dass der Schweizerton ursprünglich sechszeilig war und später durch Weglassen dcr Wiederholungszeile fünfzeilig gemacht wurde, dann hätten wir vor uns wahrscheinlich die Schweizermelodie zum Bruder Claus (wie wohl bin ich ein alter Greis) und der Name wäre erklärt. Ich zweiflc gar nicht, dass diese Schweizermelodie bald fünf- bald sechszeilig gebraucht wurde; das wäre ja nur ein Seitenstück zu der Wandlung zwischen „Lindenschmied“ und dcr Melodie „Kommt her zu mir“ etc

Franz Magnus Böhme
in: Deutscher Liederhort II (1893, Nr. 269) Anmerkungen

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