Die Uhr von Loewe
Karl Valentin (in: )
Gestatte mir, Ihnen die Ballade „Die Uhr von Loewe“ vorzutragen mit Zitherbegleitung. Ich begleite mich selbst. Gott sei Dank kann ich mich selbst begleiten. Neulich hab ich mich selbst nach Hause begleitet, das hat furchtbar dumm ausg’schaut, wie ich so allein neben mir gegangen bin.
Die Uhr von Loewe. Aber die Hauptsache ist eben, dass man sich selbst begleiten kann, da bin ich meinem Vater noch dankbar, dass er mich so streng musikalisch erzogen hat. Ich hab als Kind zu Haus nur mit der Stimmgabel essen dürfen, g’schlagen hat mich mein Vater nach Noten. ’s Schönste war, wie mir mei Vater ’s Zitherspiel’n lernen hat lassen, da hat er mir eine ganz alte Zither gekauft, bei einem Tändler um zwei Mark, auf dieser Zither war keine einzige Saiten mehr drauf, also nicht amal a einzige, aber mei Vater hat gsagt, zum Lernen tut’s die auch.
Die Uhr von Loewe. Ich schicke voraus, dass der Loewe kein Uhrmacher war, sondern Komponist.
Die Uhr von Loewe. Sehn Sie, weil wir grad von einer Uhr reden, mein Urgroßvater, der lebt nämlich noch, und dem hab’ns vor vierzehn Tag d‘ Uhr gstohl’n, und durch den Diebstahl is er jetzt wieder jünger geworden, denn jetzt is er wieder Großvater.
Die Uhr von Loewe. Ich hab auch amal was Dummes erlebt mit einer Uhr. Da hab ich mir bei einem Uhrmacher eine Taschenuhr gekauft, mit dieser Uhr bin ich drei Wochen rumgelaufen und hab nicht gewusst, wieviel Uhr das is, weil kein Zifferblatt dran war und keine Zeiger, koane Zeiger, keine Zoager net, und das ist doch die Hauptsach von einer Uhr.
Aus lauter Wut, weil ich mich mit dieser Uhr nicht ausgekannt hab, hab ich die Taschenuhr an d‘ Wand hin g’schmissen, hab ich mir gedacht, vielleicht wird dann wenigstens eine Wanduhr draus, daweil hab ich s‘ zu tausend Scherbn g’schmissen, und unter die Scherben hab ich rausgefunden, dass ein Zifferblatt dabei war und Zeiger auch, aber jedenfalls war das innen drin. Dann bin ich aber sofort zu dem Uhrmacher hin und hab ihm alles gsagt. „]a“, sagt der, „da hätten Sie doch bloß den Sprungdeckel aufmachen soll’n.“ „So“, sag ich, „das sagen Sie mir jetzt, weil ich die Uhr da worfen hab.“
Die Uhr von Loewe. Und über den Uhrmacher, sehn s‘, da hab ich heut noch eine Wut, weil er mir das nicht g’sagt hat mit dem Sprungdeckel. Dann hab ich mir aus Rache bei ihm eine wirkliche Wanduhr gekauft, so a altmodische mit Ketten und Perpendikel, hab mir mit einem Hammer einen kleinen Nagel in die Brust geschlagen und die Uhr hingehängt. Ich sag Ihnen, da wäre ich bald wahnsinnig geworden.
Wie ich das erste Mal mit dieser Wanduhr spazieren gegangen bin, sind mir immer die Gewichte zwischen d‘ Fuß ’nein kommen und der Nagel hat mir weh getan.
Die Uhr von Loewe. Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir, wieviel .. Sehn’s, wenn man’s richtig nimmt, passt eigentlich diese Ballade gar nicht für Zitherbegleitung, weil es heißt, ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir, ich geh aber jetzt nicht, ich sitz ja, und zweitens hab ich gar keine Uhr, die hab ich versetzt.
Hochgeehrtes Auditorium ¬ nachdem ich unterm Zitherspielen nicht gehen kann und außerdem meine Uhr versetzt hab, ist es mir leider nicht möglich, Ihnen die Uhr von Loewe zum Vortrag zu bringen.
Karl Valentin, 1928
Volksmusik: Volkslieder
Liederzeit: 1919-1933: Weimarer Republik
Siehe dazu auch:
- Brief von Chemnitz an Straß ()
- Das Schleswiger Sängerfest vom August 1844 ()
- Der Nikolausabend – Der heilige Nikolaus und der Knecht Ruprecht ()
- Eine Glosse über „Der Sänger hält im Felde die Fahnenwacht“ ()
- Hobelbank – Hochzeitsbrauch ()
- Kaiserhymne ()
- Negeraufstand – Das N-Wort im 19. Jahrhundert ()
- Reiters Morgengesang ()
- Schleswig-Holstein Meerumschlungen (Entstehung) ()
- Taktwechsel oder 5/4-Takt? ()