Christys Minstrels
Dunkele Häuser und Straßen in London
Gustav Rasch (Dr. jur.) (in: Dunkele Häuser und Strassen in London (Band 1, 1863, S. 107 f))
Der Detective schlug den buntgestreiften Vorhang zurück, eine kleine Treppe führte zu einem geräumigen Gemach mit niedriger Decke. Das durch die Hitze der Gasflammen und durch den Dunst erzeugte Miasma, welches uns entgegen schlug, war ebenso wenig einladend, wie die wilde, fremdartig klingende Musik welche in diesem Tanzsaal aufgeführt wurde. Auf einem erhöhten Orchester standen vier Neger und ein schwarzes Weib.
Von den Männern schlug einer eine Pauke, zwei spielten Violine, der vierte Gitarre, das Weib schüttelte ein Schellentambourin. Es waren die schwarzen „Serenaders“, die „Christys Minstrels“, wie man sie in London zu nennen pflegt, welche Negerlieder singen und mit einer wilden Musik zum Tanz aufspielen.
Die Männer trugen weite, blau und weißgestreifte Hosen, bunte Jacken und rote Schärpen um den Leib, die schwarzen Gesichter stecken in hohen Vatermördern von weißem Papier, das Weib war in ein buntes Kleid mit grellem und fremdartigem Aufputz gekleidet, ein breites Tuch war um ihren Kopf geschlungen und hing in langen roten Zipfeln über ihren vollen schwarzen Hals hinab.
Wer diese schwarzen „Serenaders“ nicht kennt, glaubt wirklich bei dem ersten Anblick eine Bande Neger vor sich zu habenm besonders, wenn er diese wilde, barbarische Musik und diese fremdartigen Melodien hört.
Aber der erste Anblick täuscht: Hinter diesen rußgeschwärzten Gesichtern stecken Burschen aus den Londoner Vorstädten. Wirkliche schwarze Sänger, nicht rußgefärbte, kamen vor einigen zwanzig Jahren aus Amerika und brachten diese Negerlieder und diese fremdartigen wilden Tänze mit herüber. Sie traten zuerst in St James Hall auf und hatten mit ihren Negerliedern den größten Erfolg.
Seitdem sind die schwarzen Sänger in London Mode geworden und man hört das Schellentambourin in Begleitung der Gitarre und die fremdartigen Gesänge auf allen Straßen. Wie man auf die Dauer daran Geschmack finden kann, ist freilich nur in England zu begreifen. Hier in dieser berüchtigten Vorstadtkneipe, wo nur Diebe, Matrosen und liederliche Dirnen verkehren, war diese Musikbande freilich ganz an ihrem Platze.
Die schwarzen Gesichter, der fremdartige Aufputz in der Kleidung und die Negerlieder stimmten ganz und gar zu dieser Gesellschaft, welche in dem niedrigen Saale auf den an beiden Seiten befindlichen schmalen Bänken saß, Tabak taute und die Mädchen mit Ale und Brandy regalierte. ..
aus: Dunkele Häuser und Strassen in London, Band 1,
Von Gustav RASCH (Doktor bei der Rechte.) · 1863, S. 107f
Volksmusik: Jazz in Deutschland
Liederzeit: 19. Jahrhundert
Schlagwort: Neger
Ort: England
Siehe dazu auch:
- „Negerlieder“ angekündigt ()
- Amerikanische „Negerlieder“ (Text von 1929) ()
- Die „schwarze Schmach“ in unserer Tanzmusik ()
- Kolonialistischer Musikmarkt um 1900 ()