Krieg und Gesangunterricht

Beitrag in "Die Volksschule" , 14. Jg. 1918

Die so oft beklagte „Liederarmut“ ist keine Melodien-sondern eine Textarmut, für die sich der deutsche Unterricht zu verantworten hat. Das Verfahren mancher Revisoren, den Erfolg und die Arbeit des Gesangunterrichts nach der Kenntnis der einzelnen Strophenanfänge zu beurteilen, ist so unpädagogisch wie nur möglich. Aber auch der beste Deutsch-Unterricht wird die Texte nicht als dauernden Besitz fürs ganze Leben dem Gedächtnis übermitteln können. Jeder prüfe sich selbst, wieviel er von Memorierstoffen, die mehr als einmal fest „eingepaukt“ wurden, so daß man glaubte, sie könnten gar nicht verloren gehen (religiöse Memorierstoffe!) denn noch als sicheren Besitz aufweisen kann! Er wird erstaunt sein, was er alles nicht kann. Gegen „Vergessen“ ist kein Kraut gewachsen.
Das sollte man auch bedenken, wenn man immer wieder von der Liederarmut redet. Sie läßt sich durch ein Gewaltmittel, wie es sich in der „festen Einprägung zum dauernden jederzeit gegenwärtigen Besitz fürs ganze Leben“ darstellt, nicht aus der Welt schaffen. Schon oben wurde erwähnt, daß die mangelnde Wiederholung nach beendeter Schulzeit an der Verkümmerung des in der Schule er-worbenen Liederschatzes schuld ist. Unsere Jugend singt zwar viel, ihr Liederschatz setzt sich aber nicht aus guten Volksliedern, sondern aus Operettenschlagern und Produkten der Schundliteratur zusammen. Auf wirklich wertvolle Musik ist die Betätigung unserer Jugend ziemlich selten gerichtet. (Wegen mangelnder schulischer Vorbildung der Sänger sind Chorvereine auf mechanischen Drill angewiesen)

Der Soldat singt gern und viel. „Selten aber“, so wird wiederholt geklagt, „hört man ein schönes altes Volkslied.“ Wird einmal ein Volkslied angestimmt, so bleibt das immer eine Ausnahme. „Zumeist ist die Operette vertreten.“ ( Monatsschrift für Schulgesang : XI. Jahrg. Heft 3, Seite 59). Auf dem Marsche sind natürlich Marschlieder bevorzugt: „Die Wacht am Rhein“, „Deutschland hoch in Ehren“, „Ich hatt einen Kameraden“, „Drei Lilien“, und die in den einzelnen Garnisonen üblichen Soldatenlieder mit Texten, die gewöhnlich nicht, was Schönheit der Sprache, Zartheit des Empfindens und Adel des Ausdrucks anbetrifft, zu den hervorragendsten Erzeugnissen unserer Volksweisen gehören. Die wegen der „Liederarmut“ so oft angerufene Schule hätte hier wenig helfen können. Der Soldat singt „seine“ Lieder, aber keinen Schulkram….

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