Krieg und Gesangunterricht
Beitrag in "Die Volksschule" , 14. Jg. 1918
„Während des Kriegszustandes ist von allen Seiten die betrübende Wahrnehmung gemacht worden, daß gerade die deutsch-österreichischen Soldaten im Vergleich zu den anderen liederarm genannt werden müssen. Es sind nur wenige Lieder, die sie anstimmen können, und selbst bei diesen versagt die Kenntnis des Textes schon bei der 2. und 3. Strophe. Daher singt überhaupt nur ein kleines Häuflein unter den marschierenden Truppen, und auch dieses verstummt bald oder hilft sich weiter durch Anschlagen von Gassenhauern, die zur Stimmung, in welcher die Soldaten marschieren, durchaus nicht passen….Schmerzlich vermißt der Soldat den liebenswürdigsten und zuverlässigsten Kameraden, der den Menschen auf dem großen Lebenswege in Freude und Leid bei der Arbeit wie zum erhebenden Feste begleitet: Guter Gesang.
Die Bezirksschulräte werden daher angewiesen, der Abstellung dieses Übelstandes vollste Aufmerksamkeit zuzuwenden und für den ganzen Schulbezirk – wie dies rücksichtlich des Aneignens von Kirchenliedern vielfach schon geschieht – unter Mitwirkung der sangeskundigen Lehrer einen sorgsam ausgewählten Schatz von Volks-, insbesondere Marsch- und Soldatenlieder festzustellen und dahin zu wirken, daß von diesen Liedern alle Strophen und zwar jede nach ihrer charakteristischen Art, gesungen und fest eingeprägt werden, damit sie zu einem nach Text und Melodie durchaus sicheren und allzeit gegenwärtigen Besitze des Gedächtnisses werden und für das ganze Leben erhalten bleiben. Durch einen derartigen Betrieb wird der Schulgesang nicht nur das vaterländische Gefühl beleben, sondern durch die Pflege des bodenständigen Volksliedes den heimatkundlichen Gesinnungsunterricht wirksam fördern.
Der Erlaß ist sicher sehr gut gemeint, sein Ziel, die Liederarmut zu beseitigen, muß freudige Anerkennung finden. Aber die Mittel, die zu diesem Ziele führen sollen, werden sich als verfehlt erweisen. Der Schatz von Volks-, Soldaten- und Marschliedern kann noch so fest eingeprägt werden, er wird doch nicht sicherer und allezeit gegenwärtiger Besitz des Gedächtnisses bleiben, wenn er nicht nach beendeter Schulzeit regelmäßig wiederholt wird. Die „feste“ Einprägung wird in den bekannten „Singedrill“ ausarten, der seine Unfähigkeit, uns vor der Liederarmut zu schützen, zur Genüge bewiesen hat. Reine Intonation und deutliche Textaussprache kann ebenso gut – erstere noch besser – durch den mehrstimmigen, wie durch den einstimmigen Gesang gepflegt werden. Der Soldat singt gerade die Lieder am liebsten, die nicht zum Stoffgebiet der Schule gehören. Mag die Auswahl noch so sorgfältig sein, sie wird nur in den seltensten Fällen den Geschmack unserer marschierenden Soldaten treffen.
Lied-Geschichte: Die Wacht am Rhein, Drei Lilien, Ich hatt einen Kameraden, O Deutschland hoch in Ehren
Volksmusik: Lied und Erster Weltkrieg
Liederzeit: 1914-1918 Erster Weltkrieg
Schlagwort: Gassenhauer • Marschmusik • Schule
Ort: Berlin, Österreich, Posen, Prag, Rhein
Siehe dazu auch:
- Aufruf zur Gründung von Kriegsschulmuseen (1915) ()
- Berliner Jungen ()
- Besonders schöne deutsche Innigkeit (1915) ()
- Das deutsche Lied an der Front ()
- Der Krieg in Trupermoor (1914) ()
- Deutscher rede Deutsch ()
- Die Tiere als Soldaten ()
- Eine Massenmobilmachung der Reimpaare (1914) ()
- Für ihn lassen wir Gut und Blut – Deutschland 1914 ()
- Ich hatt einen Kameraden (1916 , In der Heimat….) ()
- Ich hatt einen Kameraden (1918) ()
- Im Gesang vergißt das Kind, das Krieg ist ()