Kriegslieder: Das Lied als Schwert – 1916 –

Zu Mantua in Banden

Was ist so von aller Erdenschwere losgelöst wie ein Lied? Was ist so fein und durchgeästet? Was ist in gleichem Maße ein zarter Klang der Seele? Ist es nicht wie ein scheuer Hauch, den ein Zusammenprall mit der harten Körperlichkeit sofort zerstören könnte? An einem blauen Sommertag wird er geboren und schwebt wie der Duft einer fernen Hecke vorüber. An einem weinenden Herbsttag löst es sich los und geht wie eine Ahnung des Todes durchs Herz.

Am Grabe der Lieben entsteht es wie eine stille Feier der Andacht. Es fängt den Glanz aus einem lieben Frauenauge auf und läßt ihn schimmern wie einen Kristall. Und diese keuscheste Seelenkunst unter allen Künsten sollte ein Schwert sein? Und nicht ein Schwert in des Wortes übertragener Bedeutung, sondern ein Schwert aus Eisen, mit dem man menschliche Schädel spaltet?

Zu Blut und Mord sollte dienen, was dem bewegten Menschenherzen entstieg? Ist das nicht eine Überspannung der kriegerischen Betrachtung, die nur in einer Zeit des Krieges entschuldigt werden kann? Hat Mars nicht die Köpfe verwirrt, wenn die feinste seelische Feinheit zum härtesten physischen Kampf benutzt werden soll? Wir glauben es nicht. Wir alle kennen die bebende Wehmut des Liedes „Zu Mantua in Banden„.

Es soll einmal die Behauptung gewagt werden, daß alle vorhandenen Geschichtsbücher nicht so viel von Freiheitskampf der Tiroler in die Seele unseres Volkes hineingetragen haben wie dieses Lied. Mehr noch; sie hätten es auch dann nicht können, wenn sie zehn- oder hundertmal mehr gelesen worden wären. In der Übertragung   seelischer Zustände   ist   die Kunst   stärker als   die   Wissenschaft. Aus bewegter Seele wird sie geboren und bewegt die fremden Seelen in ihrem Sinne. Was aber hat das Lied „Zu Mantua in Banden“ geleistet, als es so in unserem Innern wirkte?

Es   hat   das   Bewußtsein   eines   Kampfes   auf   Leben   und   Tod   lebendig   gehalten und hat die Seele vor der materialistischen Schlaffheit des Friedens bewahrt. Das Heldentum der Väter starb nicht, sondern durchglühte das Herz der Enkel. Die Tragik Andreas Hofers wurde erhalten und damit zugleich das Bewußtsein, daß es im Leben eines Volkes tragische Stunden gibt. Nicht immer geht der Alltag seinen ruhigen Gang. Es heißt auch einmal: Kampf und Abschied und Sterben, und dann heißt es mannhaft sein, wie der treue Hofer, dem der Tod gering erschien.
Wenn  aber diese Stimmungen in einem Volk lebendig bleiben, reißen sich die Seelen bei Ausbruch eines Krieges stärker empor, und die Hand findet leichter den Weg zum Griff des Schwertes.

Ob wohl jemand in Österreich die Bundesgenossenschaft von „Zu Mantua in Banden“ hätte missen mögen, als der Verrat Italiens die Tiroler zum Schutze ihrer Berge aufrief? Ich möchte das Lied nicht einmal aus unserer Rüstung streichen. Wie die Dinge aber in diesem Einzelfall liegen, liegen sie bei jedem wertvollen Lied der gleichen Gattung.
Kein schön´rer Tod ist in der Welt, als wer auf grüner Heide fällt.“

Das Lied trägt uns wie ein Wind,  der durch alle Zeiten weht, die Stimmung der Landsknechte zu. Wir kennen sie, wenn ihre Seele in der Ahnung des Todes traurig ist. Wir spüren ihre Manneslust am heißen Waffentanz. Wir hören ihren Gesang aus rauhen Kehlen am Lagerfeuer. Wir wissen, daß sie den Becher lieben und einer drallen Dirne nicht aus dem Wege gehen. Von einem alten Landsknecht zu einem modernen Kämpfer der allgemeinen Wehrpflicht ist allerdings ein weiter Weg, beide aber werden durch den   Krieg und durch die Stimmungen des Krieges verbunden. Und nun erst die nahezu religiösen Lieder unserer Kämpfer im Befreiungskriege vor hundert Jahren!

Sie haben die Not und den Adel des Krieges in unserem Volke lebendig erhalten wie die kaum etwas anderes. Man darf allgemein sagen: es gibt keine Stimmung des Krieges, die das deutsche Lied nicht im   deutschen   Volk   fortgepflanzt hätte.

Mitten im Frieden durchgraute uns der Tod; mitten im Frieden durchglühte uns der heilige Kampf; mitten im Frieden wurden die Stimmungen der kommenden großen Stunde vorgeahnt und durchdacht. Wenn das aber der Fall ist: ist das Lied dann nicht ein guter Vorbereiter und Wegebahner gewesen? Hat es nicht wie ein Salz gewirkt, daß die Fäulnis aufhebt? Hat es nicht viel zu dem mächtigen Siegesfaktor beigetragen, den der große seelische Aufschwung bei Ausbruch des Krieges darstellte?

Und ist es dann nicht ein Schwert gewesen? Ein Schwert in des Wortes eisernster Bedeutung? Eine Waffe, die den Feind mit grimmiger Wucht aufs Haupt trifft? Es hat die   Seele frisch und kriegsfähig erhalten. Und soll nicht von der Seele der Impuls ausgehen, der die Muskeln spannt und die harten Tage auf sich nimmt? Wir dürfen die einfachsten unter unseren Feldgrauen fragen – sie werden zu Hunderten bezeugen, daß das Lied ihnen vorher und an der Front eine gute Wehr und   Waffen gewesen ist.

in. Die Stimme – Zentralblatt für Stimm- und Tonbildung , Gesangunterricht und Stimmhygiene , Jg. 1915 / 1916, H. 9 , S. 255 f.

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