Mehr Marsch- und Soldatenlieder in der Schule (1915)

Behördliche Anweisung

Der niederösterreichische Landesschulrat richtete im April 1915 nachstehenden Erlaß an alle Bezirksschulen. Diese Anweisung wurde auch in deutschen Zeitschriften zur Kenntnis gegeben.

Während des Kriegszustandes ist von vielen Seiten die betrübende Wahrnehmung gemacht worden, daß gerade die deutsch-österreichischen Soldateten im Vergleiche zu anderen liederarm genannt werden müssen. Es sind nur wenige Lieder, die sie anstimmen können und selbst bei diesen versagt die Kenntnis des Textes schon bei der zweiten und dritten Strophe. Daher sinqt überhaupt nur ein kleines Häuflein unter den marschierenden Truppen und auch dieses verstummt bald oder hilft sich weiter durch Anschlagen von Gassenhauern, die zur Stimmung, in welcher die Soldaten marschieren durchaus nicht passen.

Schmerzlich vermißt der Soldat den liebenswürdigsten und zuverlässigsten Kameraden, der den Menschen auf dem großen Lebenswege in Freud und Leid, bei der Arbeit wie zum erhebenden Feste begleitet: guter Gesang. Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, daß der Gesangunterricht an den Volks- und Bürgerschulen nicht überall planmäßig und zielbewußt betrieben wird, namentlich wird die Hauptsache des Schulgesanges, daß mit reiner Intonation, mit guter Behandlung des Textes, des Taktes und mit sorgfältigster Beachtung einer reinen, artikulierenden Aussprache einfache, schlichte, für den Massengesang geeignete Lieder wohllautend gesungen werden, häufig außer acht gelassen, indem man, ehe dieses Ziel erreicht ist, also viel zu früh zu dem zweistimmigen und mehrstimmigen Gesang übergeht.

Die Bezirksschulräte werden daher angewiesen, der Abstellung dieses Übelstandes vollste Aufmerksamkeit zuzuwenden und für den ganzen Schulbezirk – wie dies rücksichtlich des Aneignens von Kirchenliedern vielfach schon geschieht – unter Mitwirkung der sangeskundigen Lehrer einen sorgsam ausgewählten Schatz von Volks-, insbesondere Marsch- und Soldatenlieder festzustellen und dahin zu wirken, daß von diesen Liedern alle Strophen und zwar jede nach ihrer charakteristischen Art, gesungen und fest eingeprägt werden, damit sie zu einem nach Text und Melodie durchaus sicheren und allzeit gegenwärtigen Besitze des Gedächtnisses werden und für das ganze Leben erhalten bleiben.

Durch einen derartigen Betrieb wird der Schulgesang nicht nur das vaterländische Gefühl beleben, sondern durch die Pflege des bodenständigen Volksliedes den heimatkundlichen Gesinnungsunterricht wirksam fördern.

in: Das deutsche Volkslied . Zeitschrift für seine Kenntnis und Pflege . Jg. 1915, 8./9. Heft, S. 101

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