Gegen Hurrapatriotismus (1910)

SPD-Abgeordneter Henke (in: Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft vom Jahre 16.3.1910)

Herr Dr. Spitta hat vorhin auf Rechte und Gesetze hingewiesen. Es gibt aber manche Rechte, die gar nicht geschrieben sind und doch Anwendung finden. Zu diesen Rechten gehört auch, daß wir mitzureden haben über das, was in unserer Schule geschieht. Es gibt andere Rechte, die uns in der Verfassung gewährleistet sind, die aber nicht immer innegehalten werden. Es wird oft darüber hinausgegangen durch Verordnungen für Beamte in der Schule oder sonst. Wir sind der Meinung, daß die patriotischen Feste, wie sie jetzt in den Schulen gefeiert werden, aufhören müssen.

Vor 20 Jahren ist auch aus bürgerlichen Kreisen dagegen Front gemacht und sind diese Feiern als Spielerei bezeichnet. Damals war es Professor Bulle, der solche Feiern bekämpft hat, besonders die Art der Feier des Sedanfestes, wo die Kinder mit den Kriegervereinen durch die Straßen marschierten und am Kriegerdenkmal Kriegervereinsreden hören mußten.

Professor Bulle ist damals mit seiner Ansicht nicht durchgedrungen. Sozialdemokrat war er nicht, er war ein Freisinniger. Aber diese freisinnigen Anschauungen von damals scheinen aus den Schulen Bremens jetzt ausgeschlossen zu sein, und ich glaube auch, daß sich solcher Freisinn heute noch in der Bürgerschaft bemerkbar machen wird, daß heute von Ihrer Seite noch gefordert werden wird, was wir heute fordern auf Grund unserer Weltanschauung. …

Was für eine Kost ist es denn, die unsern Kindern in den bremischen Volksschulen verabreicht wird, samt und sonders in allen Schulen? Ich frage: ist das denn Patriotismus, wenn an Kaisers Geburtstag die Fahnen ausgesteckt werden und dem Kaiser eine besondere Hochachtung dargebracht wird? Das können wir beim besten Willen nicht als Patriotismus auffassen. Neulich wurde in einem Artikel einer hiesigen Tageszeitung, als der Kaiser die Aktiengesellschaft Weser besuchte, gesagt, daß sei für die Arbeiter sehr vorteilhaft, da die Werft von dem Besuch sehr viele Vorteile haben könne.

Und wenn der Kaiser sonst nach Bremen kommt, sei es zum Besuch des Norddeutschen Lloyd oder des Ratskellers, wo er mit Kaufleuten zusammenkommt, so wird das den Handel fördern oder der Kolonialpolitik dienlich sein usw. Man hofft die Beziehungen zur Werft und der Besuch könne vielleicht zur Folge haben, daß noch mehr Kriegsschiffe auf der Werft gebaut werden, und auf diese und ähnliche Weise werde die bremische Arbeit, der bremische Handel befruchtet, und dafür müsse man doch dem Kaiser dankbar sein. Das ist doch eine sehr merkwürdige Auffassung von den liberalen Herren!

Soviel ich weiß, hat in Deutschland nicht der Kaiser den Bau von Kriegsschiffen zu bewilligen, sondern der deutsche Reichstag. Sie sind doch auch diejenigen gewesen, die auf dem Standpunkt standen, daß kein persönliches Regiment herrschen dürfe, und im vorvorigen Jahr im November sind es besonders Ihre liberalen Abgeordneten im Reichstage gewesen, die gegen das persönliche Regiment mit außerordentlicher Schärfe zu Felde gezogen sind. Wenn man nun prüft und beobachtet, wie da so scharfe Worte fallen und was hernach in diesen Tagen in Bremen gesagt oder geschrieben ist, da sieht man, was aller Welt plausibel ist, was man nämlich von diesem Liberalismus zu halten hat und von der Liebe zum deutschen Kaiser und zum Kaisertum.

Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich bin kein Feind der Person des Kaisers, er mag ein ganz netter Mensch sein, das glaube ich, ich habe nie Gelegenheit gehabt, mit ihm zu reden. (Heiterkeit) Aber, meine Herren, er mag ein netter Mensch sein, ein geistreicher, talentvoller Mensch, aber dergleichen gibt es anderswo auch. Warum also so viel Aufhebens davon machen? Und, seien Sie doch ehrlich: daß WilhelmII. von Gottes Gnaden König ist, das mag er vielleicht selbst glauben, aber an solche Dinge glaubt doch von Ihnen niemand. (Zuruf.)…

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