Gegen Hurrapatriotismus (1910)
SPD-Abgeordneter Henke (in: Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft vom Jahre 16.3.1910)
Ich bin der Meinung, daß eine derartige Feier für die andere Nation immer eine Beleidigung darstellt. Wir sollten eine solch blutige Verherlichung dessen, was 1870 geschehen ist, beiseite lassen. Wir können den Kindern dadurch Vaterlandsliebe beiibnngen, daß man ihnen von unseren großen Dichtern und Denkern erzählt, daß man erzählt von der Entwicklung der deutschen Arbeit. (Zuruf von Herrn Leymann: Bebel!) Man kann ihnen auch erzählen vom Handel und von den deutschen Kaufleuten, wenn es nur richtig gesagt wird. (Heiterkeit) Was die deutsche Arbeit geleistet hat, ist mehr dazu geeignet, Vaterlandsliebe zu erwecken, als die Methode, die Franzosen herunter zu machen. …
Bei der Sedanfeier werden die Lehrer zum Reden gezwungen, aus solchen Reden wird immer etwas, was den Kindern schädlich sein muß. Wir wollen die Beseitigung des Zwanges, der auf dem Lehrer lastet. Ein Lehrer, der Tolstoi, Liliencron und andere Autoren gelesen hat, mag das nicht mehr mitmachen, er möchte von dem Zwang befreit sein. Lehrer, die sich über alle diese Dinge nicht beklagen, die dem Zwang willenlos folgen, sind nicht allemal tüchtige Lehrer, sondern elende Streber.
Darum sind solche Feiern gerade gefährlich, weil dadurch das Strebertum großgezogen wird, und derjenige, der am meisten nach oben schielt, hat am meisten Hoffnung, selbst wenn er sonst nachlässig ist oder in der Schule nichts leistet, vorwärts zu kommen. Solchen Strebereien sollten wir ein Ende machen, und darum bitte ich Sie, meinen Antrag anzunehmen.
(Der folgende Redner der bürgerlichen Mehrheit, Kunoth, lehnt auch ab, den Sedantag als „Blutfest“ und hurrapatriotisch zu feiern. Er fordert aber, „daß die Pflege der vaterländischen Gesinnung nicht aus der Schule verschwinden darf.“ S. 182. Sie gehört zum „unveräußerlichen eisernen pädagogischen Bestand.“ Kunoth: „Erst die Gründung des neuen Deutschen Reichs hat das Deutschtum zu seiner vollen Bedeutung gebracht und ihm unter dem Schutz der Reichsflagge den Weltmarkt voll erobert und erhalten.“ (S. 183). Statt des Antrages Henke wird der Antrag Kunoth angenommen. Er lautet: Die Bürgerschaft lehnt den Antrag Henke und Genossen ab und bringt dabei zum Ausdruck daß sie die Förderung nationaler Gesinnung der Jugend durch die Feier vaterländischer Festtage für eine unerläßliche Aufgabe der Schule hält.
Mit der Kaisergeburtstagsfeier liegt die Sache ähnlich. Wir sind als Sozialdemokraten Republikaner, und haben daraus niemals ein Hehl gemacht. wir in Bremen leben ja auch in einer Republik. Wir geben uns ja durchaus keinen Illusionen hin über die Bedeutung der Republik Bremen, wir wissen, was sie zu sagen hat. Wir wissen auch, wie es mit der Republik Frankreich und mit anderen Republiken bestellt ist.
Volksmusik: Kriegserziehung im Kaiserreich, Sedanfeiern
Liederzeit: 1871-1918: Deutsches Kaiserreich
Schlagwort: Kaisers Geburtstag • Schule • Sedantag
Ort: Bremen, Sedan
Siehe dazu auch:
- 50. Geburtstag des Kaisers (1909) ()
- Allerhöchste Ordre für Schulpolitik (1890) ()
- Als die Trommel klang Tal und Feld entlang (Kriegspropaganda)
- An die deutschen Kinder (1891) ()
- Anweisung für Schulfeiern Kaiserreich (1888) ()
- Auf auf ihr munteren Kameraden (Kinderlieder)
- Auf denn zum heiligen Krieg (1916) (Kriegslieder)
- Aufruf zur Gründung von Kriegsschulmuseen (1915) ()
- Aus einer Schulfibel (1908) (Kinderreime)
- Aus Haus und Hof sind wir hinausmarschieret (Kriegslieder)
- Berliner Jungen ()
- Besonders schöne deutsche Innigkeit (1915) ()