Gegen Hurrapatriotismus (1910)

SPD-Abgeordneter Henke (in: Verhandlungen der Bremischen Bürgerschaft vom Jahre 16.3.1910)

Wer das nicht begreift oder das nicht anerkennt, wird sich allerdings mit uns auseinanderzusetzen haben. Darum kommen Sie nicht herum. Wenn die Sozialdemokraten in einer Stadt wie Bremen in einer Zahl vertreten sind, wie es tatsächlich der Fall, dann können Sie deren Forderungen zur Erziehung der Kinder nicht unberücksichtigt lassen.

Es ist vor 50 Jahren darüber gestritten worden, wem die Kinder gehören, der Schule oder den Eltern. Damals ist von Ihrer Seite mit guten Gründen gesagt worden, daß die Kinder den Eltern gehören. Liberale und demokratische Anschauung ist es immer gewesen, daß die Eltern darüber zu bestimmen, zu wachen und zu beschließen haben, wie der Schulunterricht sein soll. Wenn Sie das vergessen haben oder nicht kennen, oder nicht beachten wollen, dann ist es nicht unsere Schuld. …. Wir haben nichts dagegen, wenn man Vaterlandsliebe hegt und pflegt. Wir haben nichts dagegen, wenn man bei den Kindern pflegt, was man bei uns Sozialdemokraten so nennt.

Unser Begriff von Patriotismus schließt ein den Begriff der internationalen Solidarität. Der Begriff des bürgerlichen Patriotismus schließt diesen Begriff aus. Darum müssen wir von bürgerlicher Seite so oft den Vorwurf einstecken, wie seien Leute ohne Vaterlandsliebe, Leute, die überhaupt kein Vaterland anerkennen, man sagt, wir seien antinational. Man hat uns sogar vaterlandslose Gesellen genannt. Das sind wir nicht. Die Leute, die uns so nennen, haben nicht genügend gelernt oder sind falsch informiert. Das nehmen wir ihnen nicht übel. Wir haben unser Vaterland genau so lieb, wie irgend einer, der in Deutschland geboren ist, aber wir haben einen anderen Begriff davon, wie man Vaterlandsliebe pflegt.

So wie man in den Schulen über den Krieg spricht, kann man keine Vaterlandsliebe erwecken. Wenn man die Sedanfeier begeht oder von den Schlachten 1870/71 erzählt, von Sedan und der Gefangennahme Napoleons erzählt, und – wie ein Lehrer es kürzlich bei dem Besuche des Kaisers in Bremen getan hat – falsches erzählt von der Sozialdemokratie und vom Kriege, dann bin ich der Meinung, daß das nicht die Weckung der Vaterlandsliebe bedeutet, sondern daß das schädlich ist und ausgemerzt werden müßte.

Wenn die Sedanfeier beibehalten werden soll, dann haben Sie einen Gewaltstreich verübt. Das können Sie nicht bestreiten; Sie haben dann Mißbrauch mit Ihrer Macht geübt gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Es ist ein Gewaltstreich, anders kann man es nicht nennen. Diese Sedanfeier, die wie vor 20 Jahren in der Bürgerschaft betont wurde, nicht mehr am Platze ist, muß endlich fallen.

Haben die Franzosen sich nicht genauso brav gehalten wie wir? Haben sie nicht ebenso tapfer gefochten? Haben Sie nicht zu demselben Gotte gebetet? Der Gott hat sie verlieren und uns den Sieg gewinnen lassen, weil bei uns die besten Feldherren  waren. Im Jahre 1806 war es ja woh umgekehrt. (Zuruf von Herrn Stichnath) Warten Sie nur, Herr Stichnath, in Ihren schwarzen Kopf will das noch nicht hinein, aber es kommt noch. Die Sedanfeier ist eigentlich längst nicht mehr am Platze.

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